Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
gesagt. Ich entschuldige mich dafür, Ihre Zeit in Anspruch genommen zu haben. Guten Tag, Sir Herbert.«
    »Guten Tag, Mrs. Penrose – Miss Gillespie.« Kaum waren sie gegangen, schloß Sir Herbert die Tür und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Einige Augenblicke saß er reglos da, dann ließ er die Sache offensichtlich fallen und griff nach einem Stapel Notizen.
    Hester trat aus dem Alkoven, zögerte und kam dann herüber. Sir Herberts Kopf fuhr auf, seine Augen weiteten sich einen Moment lang vor Überraschung. »Oh… Miss Latterly.« Dann sammelte er sich wieder. »Ja… die Leiche ist fortgeschafft. Ich danke Ihnen. Das wäre im Augenblick alles. Ich danke Ihnen.«
    Womit sie entlassen war. »Jawohl, Sir Herbert.«
    Hester fand diese Begegnung zutiefst beunruhigend. Sie wollte ihr nicht mehr aus dem Kopf, und bei der ersten Gelegenheit erzählte sie das ganze Gespräch Callandra. Es war am späten Nachmittag, und sie saßen draußen in Callandras Garten. Der Duft der Rosen hing schwer in der Luft, und die tiefstehende Sonne lag golden, fast aprikosenfarben auf den Blättern der Pappeln. Nur der Abendwind bewegte sich in den Bäumen. Die Mauer dämpfte das Klappern der Hufe und machte das Zischen der Räder unhörbar.
    »Es war ein absoluter Alptraum«, sagte Hester und starrte auf die Pappeln und den blaugoldenen Himmel. »Ich wußte schon vorher, was passiert. Und natürlich wußte ich, daß jedes ihrer Worte der Wahrheit entsprach, und trotzdem konnte ich nicht das geringste für sie tun.« Sie wandte sich an Callandra. »Ich nehme an, Sir Herbert hat recht, und Abtreibung ist ein Verbrechen, selbst wenn das Kind das Ergebnis einer Vergewaltigung ist. Ich war nie in der Verlegenheit, so etwas wissen zu müssen. Ich habe fast ausschließlich Soldaten gepflegt oder Leute, die an Verletzungen und Fieber litten. Ich habe nicht die geringste Erfahrung als Hebamme. Ich habe noch nicht einmal Kinder gepflegt, geschweige denn Mütter mit Kind. Es scheint mir nur so ungerecht zu sein!«
    Ihre Hand landete klatschend auf der Armstütze des Gartenstuhls. »Ich sehe das Leid der Frauen, wie ich es bisher nie gesehen habe. Ich habe nie darüber nachgedacht. Aber wissen Sie, wie viele Frauen allein während der paar Tage, die ich nun dort bin, in dieses Krankenhaus gekommen sind, völlig ausgezehrt davon, Kind auf Kind zu bekommen?« Sie beugte sich etwas vor, um Callandra anzusehen. »Und wie viele von ihnen kriegen wir überhaupt nicht zu sehen? Wie viele leben einfach in stiller Verzweiflung und Angst vor der nächsten Schwangerschaft?« Wieder schlug sie auf die Armstütze. »Es herrscht eine solche Unwissenheit! Eine derart tragische Blindheit!«
    »Ich könnte nicht sagen, was Wissen da ausrichten sollte«, erwiderte Callandra, die nicht Hester ansah, sondern das Rosenbeet, wo ein später Schmetterling von einer Blüte zur anderen flatterte. »Verhütungsmittel gibt es seit den Römern, aber sie sind den meisten Leuten nicht zugänglich.« Sie machte ein Gesicht. »Und zudem handelt es sich oft um die verrücktesten Vorrichtungen, die ein normaler Mann nie verwenden würde. Eine Frau hat weder nach weltlichen noch nach kirchlichen Gesetzen das Recht, sich ihrem Mann zu verweigern, und selbst wenn sie es hätte, der gesunde Menschenverstand und die Notwendigkeit, auch nur halbwegs anständig zu überleben, würde es praktisch nicht anwendbar machen.«
    »Aber wenigstens würde das Wissen den Schock mildern!« widersprach ihr Hester hitzig. »Wir hatten da eine junge Frau, die fühlte sich so gedemütigt, als sie erfuhr, was in der Ehe von ihr verlangt wurde, daß sie hysterisch wurde und sich umzubringen versuchte.« Sie wurde laut vor Entrüstung. »Kein Mensch hatte ihr auch nur die geringste Vorstellung davon vermittelt, und sie konnte es nicht ertragen. Man hatte sie in strengster Keuschheit erzogen, und was dann kam, war ihr einfach zuviel. Ihre Eltern verheirateten sie mit einem Mann, der dreißig Jahre älter war als sie und herzlich wenig Geduld oder Zärtlichkeit aufbrachte. Sie kam ins Krankenhaus mit gebrochenen Armen, Beinen und Rippen, weil sie aus dem Fenster gesprungen war.«
    Sie tat einen tiefen Atemzug und machte einen vergeblichen Versuch, ihre Stimme zu senken. »Also, wenn es Dr. Beck nicht gelingt, Polizei und Kirche davon zu überzeugen, daß es ein Unfall war, dann wird man ihr auch noch den Selbstmordversuch zur Last legen und sie entweder ins Gefängnis stecken oder aufhängen!« Wieder

Weitere Kostenlose Bücher