Im Schatten der Gerechtigkeit
Das Gesetz ist hier eindeutig. Früher machte man einen Unterschied zwischen einer Schwangerschaftsunterbrechung vor der ersten Bewegung des Fötus und danach, aber man hat das abgeschafft. Heute ist das ein und dasselbe.« Er hörte sich müde an, als hätte er das alles schon öfter gesagt. »Und selbstverständlich wurde man früher dafür gehängt. Heute bedeutet es nur noch Gefängnis und den Ruin. Aber wie auch immer die Bestrafung aussehen mag, Miss Gillespie, es ist ein Verbrechen, das zu begehen ich nicht bereit bin, wie tragisch die Umstände auch sein mögen. Tut mir wirklich leid.«
Julia blieb sitzen. »Wir gehen selbstverständlich davon aus, daß es eine beträchtliche Summe kosten wird.«
Auf Sir Herberts Wange zuckte ein kleiner Muskel. »Ich hatte nicht angenommen, daß Sie es als Geschenk haben wollen. Aber die Bezahlung spielt hier überhaupt keine Rolle. Ich habe versucht, Ihnen zu erklären, warum ich es nicht tun kann.« Er sah von einer zur anderen. »Bitte, glauben Sie mir, meine Entscheidung ist unumstößlich. Ich kann Ihnen durchaus nachfühlen, wirklich. Es bekümmert mich. Aber ich kann Ihnen nicht helfen.«
Marianne stand auf und legte Julia eine Hand auf die Schulter.
»Komm. Wir werden hier nichts erreichen. Wir werden uns woanders umsehen müssen.« Sie wandte sich an Sir Herbert.
»Wir danken Ihnen für Ihre Zeit. Guten Tag.«
Julia kam nur sehr langsam auf die Beine. Es sah so aus, als zögere sie, weil sie die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben hatte.
»Woanders?« fragte Sir Herbert mit gerunzelter Stirn. »Ich versichere Ihnen, Miss Gillespie, kein respektabler Arzt wird eine solche Operation vornehmen.« Er atmete scharf ein, und mit einemmal nahm sein Gesicht einen merkwürdig gequälten Ausdruck an, der sich völlig von der etwas selbstgefälligen Art von vorhin unterschied. Er nahm ihre Worte sehr ernst. »Und ich bitte Sie inständig, gehen Sie zu keiner illegalen Abtreiberin«, sagte er eindringlich. »Sie wird das erledigen, sicher, aber die Möglichkeit, daß man Sie für den Rest Ihres Lebens ruiniert, ist sehr groß. Schlimmstenfalls werden Sie verbluten oder jämmerlich an einer Blutvergiftung sterben.«
Beide Frauen starrten ihn mit großen Augen an.
Er beugte sich vor, die Hände mit weißen Knöcheln auf den Schreibtisch gestützt. »Glauben Sie mir, Miss Gillespie, ich versuche nicht, Sie unnötig zu quälen! Ich weiß, wovon ich spreche. Meine eigene Tochter wurde das Opfer eines solchen Menschen! Auch sie ist belästigt worden. Sie war erst sechzehn …« Seine Stimme stockte einen Augenblick, und er mußte sich zwingen fortzufahren. Nur sein tiefsitzender Zorn überwand seinen Schmerz. »Wir haben nie herausgefunden, wer der Mann war. Sie hat uns nichts darüber erzählt. Sie war viel zu verängstigt, zu schockiert und schämte sich viel zu sehr. Sie hat eine Abtreibung vornehmen lassen von einem Menschen, der so ungeschickt war, daß er sie schnitt. Jetzt wird sie nie mehr ein Kind bekommen können.«
Seine Augen waren nur mehr Schlitze in einem fast blutleeren Gesicht. »Sie wird noch nicht einmal mehr eine normale Verbindung mit einem Mann eingehen können. Sie wird für den Rest ihres Lebens alleine sein. Und Schmerzen haben, unablässig Schmerzen! Um Himmels willen, gehen Sie nicht in so eine Hinterhofpraxis!« Seine Stimme senkte sich wieder, merkwürdig heiser. »Bekommen Sie Ihr Kind, Miss Gillespie. Was immer Sie jetzt denken, es ist besser, als das, was Ihnen blüht, wenn Sie sich die Hilfe, die ich Ihnen nicht geben kann, woanders suchen!«
»Ich…« Marianne schluckte. »An so etwas dachte ich gar nicht – ich meine, ich hatte nicht…«
»Wir hatten nicht daran gedacht, zu einer solchen Person zu gehen«, sagte Julia mit spröder Stimme. »Wir wüßten nicht einmal, wo wir so jemanden finden, an den wir uns wenden sollten. Ich hatte nur an einen achtbaren Arzt gedacht. Ich… mir war nicht klar gewesen, daß das gegen das Gesetz ist, nicht wenn die Frau Opfer einer… einer Vergewaltigung ist.«
»Ich fürchte, das Gesetz macht da keinen Unterschied. Es geht um das Leben des Kindes.«
»Das Leben des Kindes macht mir keine Sorgen«, sagte Julia, und es war kaum mehr als ein Flüstern. »Ich denke dabei an Marianne.«
»Sie ist eine gesunde junge Frau. Sie wird das wahrscheinlich bestens überstehen. Und mit der Zeit werden sich auch Angst und Kummer geben. Ich kann nichts für Sie tun. Tut mir leid.«
»Das haben Sie schon
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