Im Schatten der Gerechtigkeit
seit sie da war.«
»Besser gerochen!« Schallendes Gelächter von einer großen Rothaarigen. »Wo meinst du denn, wo du bist, in ’nem Herrenhaus? Nu’ hör aber auf, du Schaf! Für eine feine Dame hat sie sich gehalten, was Besseres wie unsereins. War sich viel zu gut, mit Putzweibern und Hausangestellten zu arbeiten. Doktor werden hätt’ sie wollen! Eine Närrin war sie, sag’ ich euch, die arme Sau! Hätte mal hören sollen, was seine Lordschaft da drüber zu sagen gehabt hat!«
»Wer? Sir Herbert?«
»Klar doch, Sir Herbert! Wer’n sonst? Meinste vielleicht unser Germanen-Georg? Ausländer – der hat sie doch eh nicht alle mit seinen komischen Ideen. Würd’ mich gar nicht wundern, wenn der sie umgebracht hat. Jedenfalls die von der Schmiere, die sagen das.«
»Tatsächlich?« Hester blickte sie interessiert an. »Wieso denn? Hätte das nicht genausogut irgendein anderer sein können?«
Worauf sie alle ansahen.
»Wie meinst’n das?« fragte die Rothaarige mit gerunzelter Stirn.
Hester hievte sich auf die Kante des Wäschekorbs. Das war die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatte. »Na ja, wer war denn da, als sie umgebracht wurde?«
Sie sahen sie an, dann einander. »Wen meinste damit? Die Ärzte und so?«
»Na klar doch meint sie die Ärzte und so!« sagte die Dicke verächtlich. »Meinst du, sie glaubt, daß sie eine von uns abgemurkst hat? Also, wenn ich einen umbringen würd’, dann wär’ das mein Alter, und keine eingebildete Krankenschwester, der der Kopf nach mehr steht, als sie kriegen kann! Was int’ressiert mich die schon? Ich hätt’ der nichts Böses wollen, der armen Sau, nicht daß ich deswegen eine Träne vergossen hätt’.«
»Was ist mit dem Kämmerer und dem Kaplan?« Hester versuchte, ganz beiläufig zu klingen. »Haben die sie gemocht?«
Die Dicke zuckte die Achseln. »Wer weiß? Warum sollte die sie überhaupt interessieren?«
»Na ja, schlecht ausgesehen hat sie ja nich’ grade«, sagte die Ältere großzügig. »Und wenn sie schon Mary Higgins nachsteigen können, dann der schon zweimal.«
»Wer steigt Mary Higgins nach?« fragte Hester, die nicht genau wußte, wer Mary Higgins war, auch wenn sie annahm, daß es sich um eine der Schwestern handelte.
»Na, der Kämmerer«, sagte die Jüngere achselzuckend. »Der ist doch total scharf auf die.«
»Und der Kaplan genauso«, sagte die Dicke mit einem Schnauben. »Der alte Dreckfink. Legt ihr immer den Arm um und nennt sie sein’ ›Schatz‹. Also, wenn ich’s mir recht überleg’, ich würd’ dem schon zutrauen, daß der’s auch auf Pru Barrymore abgesehen hatte. Vielleicht ist er zu weit gegangen, und sie hat ihm damit gedroht, ihn zu melden? Also getan haben könnt’ er’s.«
»War er denn hier an dem Morgen?« fragte Hester zweifelnd. Sie sahen einander an.
»Ja!« sagte die Dicke, ihrer Sache völlig sicher. »Der ist die ganze Nacht über dagewesen, weil jemand Wichtiges gestorben ist. Freilich war der da. Vielleicht ist er’s ja gewesen, und nicht Germanen-Georg? Wo dem ja auch noch sein Patient abgekratzt ist«, fügte sie hinzu. »War ja schon ’ne ziemliche Überraschung! Also ich hätt’ gedacht, daß er durchkommt der arme Kerl!«
Derlei Unterhaltungen gab es mehrere zwischen Wischen und Wäscheholen, Bandagenrollen, Eimerleeren und Bettenmachen. Hester erfuhr eine ganze Menge darüber, wo sich die einzelnen Leute an besagtem Morgen um sieben Uhr aufgehalten hatten, aber es blieben immer noch eine ganze Reihe von Möglichkeiten, was den Mörder anbelangte. Auch eine ganze Menge Klatsch über Motive bekam sie mit, das meiste davon Verleumdungen und ziemlich spekulativ, aber als sie John Evan sah, zog sie ihn einen Augenblick in eine der kleinen Kammern, in denen man die Medikamente aufbewahrte, und berichtete ihm davon. Mrs. Flaherty war eben gegangen, hatte Hester jedoch noch angewiesen, einen Riesenberg Bandagen zu rollen, und Sir Herbert war frühestens in einer halben Stunde zurück, wenn er gegessen hatte.
Evan saß halb auf dem Tisch und sah zu, wie ihre Finger die Binden glätteten, bevor sie sie aufrollte.
»Haben Sie das Monk schon gesagt?« fragte er mit einem Lächeln.
»Den habe ich seit Sonntag nicht mehr gesehen«, antwortete sie.
»Was treibt er denn so?« fragte er im Plauderton, aber seine haselnußbraunen Augen musterten sie aufmerksam.
»Weiß ich nicht«, antwortete sie und legte einen weiteren Berg Bandagen auf den Tisch. »Er hat gesagt, daß er noch mehr über
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