Im Schatten der Gerechtigkeit
auf der Krim gewesen bist und alle ein großes Trara um dich gemacht haben, brauchst du dir noch lange nicht einbilden, daß wir dir was durchgehen lassen, das kannste vergessen! Tut so, als wär’ sie zu gut für uns.« Sie spuckte kräftig aus, um ihre Verachtung zu zeigen.
»Ich nehme an, Sie sprechen von Schwester Barrymore!« sagte Hester eisig, obwohl die körperliche Kraft der Frau einschüchternd war. Sie würde aufpassen müssen, mit ihr nicht allein in der Waschküche zu landen, wo sie kein Mensch hören konnte. Aber Tyrannen suchen sich bekanntlich ja immer die aus, in denen sie Angst spüren.
»Natürlich meine ich Schwester Barrymore!« äffte Dora Parsons sie nach. »Sind vielleicht noch mehr von euch feinen Krimschwestern da?«
»Nun, das sollten Sie ja wohl besser wissen«, gab Hester zurück. »Ich entnehme Ihren Worten, daß Sie sie nicht mochten?«
»Ich und ’n Dutzend andere«, pflichtete Dora ihr bei. »Also lauf bloß nicht hin und behaupte, ich war diejenige, wo sie abgemurkst hat, sonst bist du an der Reihe!« Sie grinste sie boshaft an. »Bei dem dürren Hals bräucht’ ich bloß zweimal zu schütteln, das kannste mir glauben!«
»Scheint mir ziemlich überflüssig, das der Polizei zu sagen.« Hester gab sich alle Mühe, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. Um richtig wütend zu werden, dachte sie ganz bewußt an Prudence im Operationszelt auf dem Schlachtfeld und dann tot in der Waschküche. Das war allemal besser, als Angst vor diesem ekelhaften Frauenzimmer zu haben. »Ihr Verhalten ist so offensichtlich, daß selbst der dümmste Konstabler es sehen würde. Brechen Sie öfter Leuten den Hals, wenn sie Sie stören?«
Dora öffnete den Mund, um zu antworten, merkte aber dann, daß sie mit ihrer Antwort in eine Falle getappt wäre.
»Was ist, gehen Sie nu’ zu Sir Herbert, oder soll ich ihm sagen, daß Sie zu beschäftigt sind?«
»Ich gehe schon.« Hester ging um Dora Parsons mächtige Gestalt herum und rasch aus dem Raum. Auf dem Korridor klapperten die Absätze ihrer Stiefel über die Fliesen. Als sie Sir Herberts Tür erreichte, klopfte sie scharf – gerade so, als wäre Dora noch hinter ihr.
»Herein!« erklang Sir Herberts herrische Stimme. Sie drehte am Knopf und trat ein.
Er saß hinter seinem Schreibtisch, einige Papiere vor sich ausgebreitet. Er hob den Kopf. »Oh, Miss, äh… Latterly. Sie sind doch die Krimschwester, nicht wahr?«
»Jawohl, Sir Herbert.« Sie nahm respektvoll Haltung an, kerzengerade, hinter dem Rücken eine Hand in der anderen.
»Gut«, sagte er zufrieden, während er einige Papiere zusammenfaltete, bevor er sie wegräumte. »Ich habe da eine heikle Operation an einer Person von einiger Bedeutung. Ich möchte, daß Sie mir assistieren und sich hinterher um den Patienten kümmern. Ich kann nicht überall gleichzeitig sein. Ich habe da einige neue Theorien über das Thema gelesen. Ausgesprochen interessant.« Er lächelte. »Womit ich natürlich nicht sagen will, daß Sie das groß interessieren wird.«
Er verstummte, als erwarte er fast, sie könnte darauf antworten. Es war sogar von beträchtlichem Interesse für sie, aber eingedenk der Notwendigkeit, hier weiter zu arbeiten (was nicht zuletzt von Sir Herberts Meinung über sie abhängen würde), sagte sie das, was er ihrer Ansicht nach hören wollte.
»Ich denke kaum, daß das innerhalb meiner Fähigkeiten liegt, Sir«, meinte sie zurückhaltend. »Obwohl ich natürlich sicher bin, daß es ausgesprochen wichtig ist und womöglich durchaus etwas, was ich zu lernen habe, wenn die Zeit reif ist.« Die Befriedigung in seinen kleinen intelligenten Augen war nicht zu übersehen. »Selbstverständlich, Miss Latterly. Wenn es soweit ist, werde ich Ihnen alles sagen, was Sie zu wissen brauchen, um sich um meinen Patienten zu kümmern. Sie haben die richtige Einstellung.« Sie biß sich auf die Zunge, um nicht zu widersprechen. Aber sie dankte ihm auch nicht für das Kompliment, das es zweifelsohne hatte sein sollen. Sie war sich sicher, ihr sarkastischer Tonfall hätte sie verraten.
Er schien jedoch darauf zu warten, daß sie etwas sagte.
»Wollen Sie, daß ich mir den Patienten ansehe, bevor die anderen im Operationsraum eintreffen, Sir?« fragte sie ihn.
»Nein, das ist nicht nötig. Mrs. Flaherty bereitet ihn bereits vor. Schlafen Sie in der Schwesternunterkunft?« großen Raum, wie im Armenhaus, ohne die geringste Privatsphäre; man hatte weder Ruhe zum Schlafen noch zum Nachdenken oder
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