Im Schatten der Giganten: Roman
finsterem Blick und legte die Hand auf den Griff des Schwerts, das an einem Tuchgürtel hing. Die Schärpe zeigte das rötliche Violett eines frischen blauen Flecks, die Farbe von Moaradrid. Was bedeutete, dass er ein Berufssoldat war, ein Regulärer. Ich beschloss, ihn nicht noch mehr zu verärgern.
»Sollen wir gehen?«, schlug ich vor.
Er brummte erneut und stapfte los, zum Lager. Ich folgte ihm.
Moaradrids Lager war, offen gestanden, ein einziges Chaos. Ich gewann den Eindruck, dass die große Mehrheit seiner Soldaten die letzten Nächte im Freien verbracht hatte; nur die Offiziere und Veteranen schienen in den Zelten und requirierten Bauernhäusern beim Fluss untergebracht zu sein. Der Umstand, dass keine dauerhafteren Unterkünfte errichtet worden waren, deutete darauf hin, dass das Heer nicht lange an diesem Ort bleiben sollte. Daraus wiederum ließ sich der Schluss ziehen, dass eine Schlacht bevorstand. Unser Heer befand sich weiter im Norden, soweit ich wusste. Jetzt, nach Moaradrids Rückkehr von seiner geheimnisvollen Reise, schien es unvermeidlich zu sein, dass der seit Langem gärende Konflikt eine kritische Phase erreichte.
Natürlich war es nicht in dem Sinne »unser Heer«, zumindest war es nicht »meins«. Immerhin gehörte ich jetzt zur anderen Seite. Mein Status als Freiwilliger machte mich zu einem Feind, und das war ein deprimierender Gedanke, gleich in mehrfacher Hinsicht.
Um mich ein wenig aufzumuntern, entnahm ich den Taschen meines Mantels die Nahrungsmittel, die ich auf dem Karren an mich genommen hatte: ein Ranken Brot, ein verwelktes Stück Kohl und übel riechenden Fisch. Das Brot erschien mir nicht ganz so unappetitlich wie der Rest, und deshalb brach ich einen Brocken davon ab und kaute nachdenklich. Als mich der Soldat anstarrte, gab ich ihm etwas von dem Brot.
»Gestohlen?«, fragte er.
»Nicht von hier«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich hatte den Ranken eingesteckt, kurz bevor wir vom Wächter am Rand des Lagers angehalten worden waren.
»Dann möchte ich auch was von dem Fisch«, sagte er, woraufhin ich den ebenfalls teilte.
Nachdem er gegessen hatte, ohne sich zu übergeben, folgte ich seinem Beispiel. Der Fisch schmeckte erstaunlich gut. Allerdings: Ich war so hungrig, dass mir vermutlich selbst meine Stiefel geschmeckt hätten. Der Soldat aß auch das Brot, nahm dann einen Schluck aus einem Wasserschlauch und reichte ihn mir. Wie sich herausstellte, enthielt er Wein, besser gesagt: Wein, der nach Essig schmeckte und stark verdünnt war. Aber ich fand ihn köstlich und nickte dem Soldaten dankbar zu, der einfach nur den Schlauch zurücknahm und wortlos weitermarschierte.
Es ging die ganze Zeit über nach oben, mehr konnte ich nicht feststellen. Zwar war der Mond fast voll, aber es zogen Wolken über den Himmel, und im Osten braute sich ein Unwetter zusammen. Das einzige zusätzliche Licht kam von den Lagerfeuern, und davon gab es nicht viele, vielleicht weil Holz so nahe beim Fluss knapp war, oder weil Moaradrid nicht die Größe seiner Streitmacht verraten wollte. Mein Begleiter schien den Weg genau zu kennen, was vermutlich bedeutete, dass es im Durcheinander von Männern und Feuerschein so etwas wie eine Ordnung gab. Das half mir nicht viel weiter. Wenn ich vor dem Beginn der Schlacht entkommen wollte – und genau das war meine Absicht –, musste ich zumindest wissen, wo ich mich befand.
Der Soldat blieb stehen. Vor uns brannte ein jämmerlich kleines Feuer, in der Nähe eines verkrüppelt wirkenden Olivenbaums und eines großen Felsens, der wie ein Obelisk aufragte. Ich bemerkte Gestalten am Feuer, aber es ließ sich nicht feststellen, wie viele es waren. Zählen konnte ich nur die, die direkt vom Licht des kleinen Lagerfeuers erreicht wurden, und sie schienen die Minderheit zu sein. Mein Begleiter sah sich um. Seine Nachtsicht war offenbar besser als meine, denn er wandte sich an einen Schemen, der sich kaum von den anderen unterschied, und rief: »Wie sieht es mit der Größe deiner Gruppe aus, Lugos?«
Ein untersetzter Mann kam aus der Dunkelheit. »Zwei sind krank, und einen weiteren habe ich bei einer Messerstecherei verloren.« Seine Stimme war rau und gleichzeitig hoch. Das flackernde orangefarbene Licht zeigte nur die eine Hälfte seines hässlichen Gesichts. »Warum fragst du? Hast du mir einen Neuen mitgebracht?«
»Habe ich, wenn du ihn willst. Er ist ziemlich hager und ein Dieb. Aber das dürfte dich kaum stören, oder?«
Der Mann namens
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