Im Schatten der Leidenschaft
Welle der Schläfrigkeit überrollt wurde. Die Gelegenheit dazu würde sich schon bieten, wenn sie nur danach Ausschau hielt.
KAPITEL 14
»Wo ist das Mädel denn heute morgen?« Hugo kam gähnend in die Küche und rieb sich das Gesicht. Seine Kleider waren stärker verknautscht als sonst.
»Sie hat vor ungefähr einer Stunde gefrühstückt und dann gesagt, sie will den Klepper im Obstgarten grasen lassen.« Samuel warf seinem Arbeitgeber einen scharfen Blick zu. Es war Vormittag und ungewöhnlich spät für Hugo, wenn er nicht in der vergangenen Nacht viel getrunken hatte. Aber abgesehen davon, daß er in seinen Kleidern geschlafen zu haben schien, wirkte er erfrischt und hatte klare Augen.
Samuel goß ihm Kaffee ein. »Wir brauchen Vorräte. Wenn Sie vielleicht etwas Geld hätten, würde ich mit dem Karren in die Stadt fahren.«
Hugo verzog das Gesicht. »Was heißt etwas Geld, Samuel?«
Samuel zuckte mit den Schultern. »Ein paar Guineen reichen wahrscheinlich für Mehl, Kaffee und solche Sachen. Aber das Schwein müssen wir bald schlachten, wenn wir im Winter Speck essen wollen, und Colin will sein Geld immer sofort. Außerdem muß der Hufschmied bezahlt werden.«
»Ist Colin nicht auch mit Naturalien zufrieden? Vielleicht einer Speckseite?«
»Ja, vielleicht. Er hat’s im Augenblick nicht leicht. Alle haben’s schwer, weil zur Zeit die Löhne in der Fabrik gekürzt worden sind.«
»Mmm.« Hugo trank seinen Kaffee. »Und eine Weile lang wird es keine Reformversammlungen geben. Henry Hunt ist zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden.«
»Das bringt die Leute doch nur noch mehr auf. Am liebsten würden sie die ganze Polizei hängen sehen.« Samuel stellte einen Teller Schinken vor Hugo. »Reicht Ihnen das?«
»Ja, danke.« Hugo schnitt in das Fleisch. »Nimm soviel du brauchst aus der Geldkassette in der Bibliothek.«
Er erinnerte sich mit plötzlichem Schuldbewußtsein an die drei Sovereigns, die er Betsy gegeben hatte ... ganz zu schweigen von den beiden, die er für den Rübenverkäufer zum Kauf von Rosinante verschwendet hatte - das wäre mehr als genug gewesen, um den Hufschmied und den Metzger zu bezahlen und Mehl und Kaffee für einen ganzen Monat zu kaufen. Chloe hatte zwar darauf bestanden, daß es ihr Geld war, das er ausgab, doch er konnte sich nicht vorstellen, das Geld vom Taschengeld seines Mündels abzuziehen.
»Ich könnte ein Bad vertragen, Samuel«, sagte er und lenkte seine Gedanken zu einem leichter lösbaren Problem.
»Ich werde es Ihnen hier drinnen richten«, sagte Samuel. »Wie auch letztes Mal für das Mädel. Ich schätze, Sie sollten auch den Wandschirm aufstellen.«
»Ja, am besten«, sagte Hugo. Bis Chloe erschienen war, hatte er nie derartige Maßnahmen ergriffen und gewöhnlich einfach unter der Pumpe im Hof gebadet, wenn mildes Wetter war. Aber jetzt hatten sie keinen reinen Männerhaushalt mehr.
Eine halbe Stunde später saß er vor dem Kamin hinter dem Schirm in der Sitzbadewanne und genoß das heiße Wasser, das um ihn dampfte. Gegen Morgen war er schließlich in einen tiefen Schlaf gesunken und war jetzt mit einem Gefühl von körperlichem Wohlbehagen erfüllt. Er hatte gestern abend gegen seine Sucht gekämpft und gewonnen, und das Gefühl dieses Sieges tat ihm gut. Chloes Anteil an diesem Sieg mußte Anerkennung finden, und er fragte sich, was er für sie tun konnte, das ihm keine große Ausgaben bescheren würde. Noch einmal nach Manchester ... und vielleicht würde er sich auf die Zunge beißen, wenn sie irgend etwas Gräßliches haben wollte, und ihr die Freude an ihrem Kauf lassen. Aber vielleicht war es doch keine so gute Idee, wenn er daran dachte, was sie im allgemeinen ansprechend fand. Er schloß die Augen, stützte seine Zehen gegen den Rand der Wanne und goß sich genießerisch Wasser über die Brust.
Das Wasser begann abzukühlen, und er dachte, er hätte Samuel gehört. »Bring mir bitte noch einen Krug heißes Wasser, bevor du gehst, Samuel.«
Chloe stand in der offenen Tür und sah sich in der leeren Küche um. Sie wollte gerade der körperlosen Stimme ihres Vormundes sagen, daß Samuel gar nicht im Zimmer war, als eine heiße Flut von Erregung in ihr aufstieg, daß ihr die Knie weich wurden. Dies war die Gelegenheit ... Und dazu eine goldene Gelegenheit.
Sie näherte sich dem Wandschirm, wo eine Reihe von Kupferkrügen zum Füllen des Bades bereit stand. Wagte sie es? Was sie vorhatte, war so ziemlich das Dreisteste, was sie sich
Weitere Kostenlose Bücher