Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
Vergünstigungen, doch die schier unendliche Versorgung mit Junkfood ist eine davon. Amber hegt den Verdacht, dass einige aus ihrer Belegschaft von wenig mehr als halbverdorbenen Hamburgern, lauwarmen Würstchen, gefüllten Blätterteigröllchen und kalten Pommes leben und ihre einzige Obst- und Gemüsezufuhr in Tomatensuppe aus der Dose und Apfeltaschen besteht.
Sie hat eigentlich keinen Hunger. Will lediglich die Zeitspanne zwischen den Abrechnungen und der einzigen Reinigungsarbeit überbrücken, die sie sich selbst vorbehält, weil sie niemand anderem zutraut, sie angemessen zu erledigen. Flüchtig schweift ihr Blick über die Platten mit scones , den riesigen, weichen Keksen mit Schokoladensplittern. Hinter ihr macht Blessed eine Bemerkung mit einer Stimme, die vor wohlerzogenem Widerwillen trieft.
» Ich weiß ja nicht«, sagt sie, » was die sich denken. Oder ihre Freunde… Sind das Tiere, diese Leute?«
Amber entscheidet sich für ein Sandwich mit Schinken und Salat, das gestern abgelaufen ist. Innen wird es matschig sein, die Kruste wie Pappe, aber es ist nicht viel Salziges im Angebot, und auf Süßes hat sie keine Lust.
» Worum geht’s, Blessed?«, fragt sie und wendet sich ihrem Tisch zu.
Jackie trinkt ihren Kaffee aus. » Blessed hat wieder mal einen Scheißhaufen gefunden«, verkündet sie.
» Was?« Amber setzt sich und beginnt, ihr Sandwich auszuwickeln. » Auf der Walzerbahn?«
Blessed nickt und zieht ein Gesicht. » Mitten auf dem Sitz. Ich versteh gar nicht, wie die das hinkriegen. Ich meine, sie müssen doch die Hosen runterlassen, um sich hinzuhocken.«
Jackies Gesicht bekommt einen träumerischen Ausdruck. » Ich frage mich, ob sie’s bei voller Fahrt tun.«
» Das tut mir leid, Blessed«, sagt Amber. » Bist du damit klargekommen? Brauchst du mich, um…?«
» Nein«, erwidert Blessed. » Zum Glück hat Moses sich schon drum gekümmert. Aber danke, nettes Angebot.«
» Dem Himmel sei Dank für Moses«, sagt Jackie. Neben ihrem Ellbogen macht ihr Handy plötzlich einen Satz und ruckelt über den Tisch.
» Heiliger Strohsack«, meint Tadeusz, der jäh aus seinen nächtlichen Träumereien erwacht ist. » Ich glaube es einfach nicht. Halb zwei morgens? Wer kriegt denn um halb zwei morgens Anrufe? Du bist wirklich unersättlich, Frau!«
» Du träumst«, zischt Jackie unwillig. Greift nach dem Handy und zieht die Stirn in Falten. » O Scheiße, Mist.«
Amber beißt in ihr Sandwich. Warm, durchgeweicht und irgendwie tröstlich. » Was ist los?«
Jackie schiebt ihr das Handy hinüber. Über Ambers Schulter liest Tadeusz den Text auf dem Display. Wo bist du? Du hast kein Recht, das zu tun. Ruf mich an!
» Da ist jemand sauer«, bemerkt er.
» Eher verrückt«, meint Jackie.
Tadeusz starrt sie mit neuem Respekt an. » Du hast einen Stalker?«
Sie schaut vom Display auf und sieht ihn scharf an. » Erhöht das meinen Marktwert, Tad?«
Tadeusz zuckt die Achseln. Er ist eine hagere, etwas wölfische Erscheinung und deshalb gewöhnt an leichte Eroberungen und klammernde Liebschaften. Blessed schaut besorgt drein. » Wer ist dieser Mann?«
» Bloß… ein blödes, kleines Arschloch. Ich bin zweimal mit ihm ausgegangen.«
Und alles andere, denkt Amber erbarmungslos. Sie sagt jedoch nichts und schiebt das Telefon wieder über den Tisch zurück. Sie hat schon vor langer Zeit gelernt, sich nicht zum Richter aufzuspielen. Zumindest nicht hörbar.
» Du wirst doch nicht antworten, oder?«, fragt Blessed. » Du solltest überhaupt nicht reagieren, Jackie.«
Jackie schüttelt den Kopf. » Nein, nicht mehr. Ich war doof und hab ihm am Anfang ein bisschen nachgegeben, aber nein, jetzt nicht mehr. Hinterhältiger kleiner Wichser. Ich bin nur zu der zweiten Verabredung gegangen, weil es mir für ihn leidgetan hat, dass er ihn beim ersten Mal nicht hochgekriegt hat.«
» Jackie!« Blessed kann diese Redeweise nicht ausstehen. Und doch sitzt sie immer an Jackies Tisch. » Du solltest wirklich nicht antworten. Du musst vorsichtig sein. Frauen werden umgebracht. Du weißt das. Du musst vorsichtig sein!«
» Wohl kaum«, erwidert Jackie. » Der ist kein Scheißserienkiller. Bloß ein trauriger kleiner Wichser.«
» Darüber solltest du keine Witze machen«, sagt Blessed. » Dieses Jahr waren es schon zwei Mädchen in Whitmouth, direkt an der Ausgehmeile. Du weißt nichts über diesen Mann. Nicht wirklich.«
» Das war kein Witz, Blessed. Sorry.«
Blessed schüttelt den Kopf. » Lass gut sein.
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