Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)

Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)

Titel: Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Marwood
Vom Netzwerk:
sie die Tür öffnet, sieht sie, wie er zusammenzuckt und seine Kippe in die offene Coladose vor sich wirft. Sie unterdrückt ein Lächeln, als er eine Miene verletzter Unschuld aufsetzt und gleichzeitig so tut, als hätte er sie nicht bemerkt. Wie jedes Mal sieht Amber ihm demonstrativ in die Augen und schenkt ihm ein wissendes Lächeln. Wie oft man sich im Leben doch zum Komplizen eines anderen machen muss– als Chefin sogar noch häufiger als zuvor.
    Amber entgeht sehr wenig von dem, was in Funnland passiert. Der Raum ist voller Menschen, deren kleine Marotten sie entschlossen ignoriert. Etwa Jackie Jacobs, die alles stehen und liegen lässt, sobald ihr Handy klingelt, die aber durch ihre unaufhörlichen Anzüglichkeiten für eine gute Stimmung im Team sorgt. Die Tatsache, dass Blessed Ongom im Café jeden Abend die Erste und die Letzte ist, davor und danach aber doppelt so viel arbeitet wie ihre Kollegen. Und natürlich Moses, der einen Pferdemagen hat und dem man die Beseitigung von Hinterlassenschaften der Besucher übertragen kann, die zartbesaiteteren Kollegen die Tränen in die Augen treiben.
    Der Raum ist voll. Ihre gemeinschaftliche Teepause ist ein Ritual, das keiner dieser Nachtarbeiter verpasst hätte, nicht um alles in der Welt; nicht mal die Neuen, auch die nicht, deren Englisch so dürftig ist, dass sie sich mit Lächeln und Zeichensprache verständigen müssen. Eine Nacht damit zuzubringen, die Reste zu beseitigen, die das Vergnügen anderer Leute hier hinterlassen hat, ist eine anstrengende Aufgabe, Amber weiß das. Wenn eine Verschnaufpause und ein paar Donuts vom Vortag das Ganze erträglicher machen, sieht sie keinen Sinn in symbolischem Peitschenknallen. Solange bis zum Schichtende um sechs Uhr früh alles erledigt ist, fragt sie nicht danach, wie sich ihre Leute die Zeit einteilen. Und es ist nicht damit zu rechnen, dass Suzanne Oddie oder sonst jemand aus der Zentrale jemals mit Stoppuhr und Klemmbrett hier anrückt, solange sie unter ihren Bettdecken aus ägyptischer Baumwolle liegen können. Das ist der große Vorteil unsozialer Arbeitszeiten: Solange die Arbeit erledigt wird, interessiert es keinen, wer sie macht oder wie.
    Moses zieht ein langes Gesicht, und seine dunklen Augen blicken zunehmend misstrauisch, als Amber plötzlich auf seinen Tisch zusteuert. Er glaubt, dass ich ihm jetzt endlich einen Rüffel verpasse, denkt sie. Obwohl wir uns seit Jahren kennen, betrachtet er mich– wie alle anderen auch– seit meiner Beförderung mit leichtem Argwohn. Sie lächelt und sieht, wie die Skepsis steigt. Zwingt sich zu einem Lachen, auch wenn sie ein klein wenig verletzt ist. » Alles in Ordnung, Moses«, ruft sie beruhigend. » Ich hab was für dich.«
    Sie erreicht seinen Tisch, zieht die Telefonkarte aus der Tasche und streckt sie ihm hin. » Fundsachennacht«, sagt sie. » Da sind ungefähr zwanzig Pfund drauf, glaube ich. Ich dachte mir, du willst vielleicht deine Oma anrufen.«
    Sein Argwohn schwindet, und plötzlich leuchtet sein Gesicht vor Freude. Moses’ Großmutter in Castries ist kürzlich krank geworden; wahrscheinlich macht sie es nicht mehr lange. Amber weiß, dass er das Geld für einen Flug zur Beerdigung nicht auftreiben kann, aber ein letztes Telefonat kann den Verlust vielleicht lindern.
    » Danke, Amber«, sagt er und strahlt sie an. » Danke. Das weiß ich zu schätzen.«
    Amber wehrt ab und schüttelt ihr Haar. » Ach Quatsch«, meint sie, » ist doch nicht meins, egal«, und geht weiter. Sie weiß, und alle anderen wissen es auch, dass das nicht ganz stimmt. Ihr Vorgänger betrachtete Fundsachen als seinen persönlichen Bonus. Aber das bringt sie nicht fertig. Noch nie in ihrem Leben hat sie so viel verdient, und sie wäre sich mies vorgekommen, wenn sie dieser Gruppe von Menschen, die allesamt am Rande des Existenzminimums lebten, diese kleinen Extravergnügen vorenthalten hätte. Sie sind nicht nur ihre Angestellten, sondern auch ihre Nachbarn. Ihre Freunde. Wenn sie bei der Arbeit auf Distanz ginge, würden sie sie auf der Straße bald nicht mehr grüßen. Das Armband schenkt sie Julie Kirklees, einer spindeldürren Achtzehnjährigen, deren gruftimäßiges schwarzes Augen-Make-up wahrscheinlich häufig das ein oder andere Veilchen kaschieren soll. Dann geht sie zum Tresen.
    Sie schenkt sich aus der Kanne eine Tasse heißen Tee ein und gibt zwei Stück Zucker dazu. Mustert die Kühltheke und die abgedeckten Platten darauf. Dieser Job bietet ziemlich wenig

Weitere Kostenlose Bücher