Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Klebeband, mit dem er sie gefesselt und geknebelt hat, waren auch keine. Sie ist zur Vordertür aus dieser Kneipe rausgegangen, aus freien Stücken, um ein Uhr morgens, als der Laden noch gut voll war, und irgendwie hat er sie entführt oder dazu gebracht, mit ihm zu gehen, all das zwischen der Eingangstür und ihrem Auto, das nur dreißig Meter weit weg geparkt war.«
Seine Augen waren nachdenklich.
»Fahren Sie fort«, sagte er.
»Ich glaube, daß sie den Kerl gekannt hat.«
Der Sheriff setzte die Brille wieder auf und kratzte sich mit dem Fingernagel im Mundwinkel.
»Sie hat ihre Handtasche am Tisch gelassen«, sagte ich. »Ich denke, daß sie nach draußen ging, weil sie etwas aus dem Wagen holen wollte. Dabei hat sie jemanden getroffen, den sie kannte. Psychopathen versuchen nicht, eine Frau direkt vor einer Bar voller betrunkener Rednecks und Ölfeldarbeiter gewaltsam zu etwas zu zwingen.«
»Was wissen wir über das Mädchen?«
Ich holte meinen Notizblock aus der Schreibtischschublade und blätterte ihn auf der Unterlage durch.
»Ihre Mutter ist gestorben, als sie zwölf war. Sie ist in der Neunten von der Schule abgegangen und ist ein paarmal von ihrem Vater abgehauen. Das war in Mamou. Mit sechzehn ist sie in Lafayette wegen Prostitution verhaftet worden. Seit ungefähr einem Jahr wohnte sie hier bei ihren Großeltern, draußen am Ende der West Main Street. Ihren letzten Job hatte sie vor ungefähr drei Wochen draußen in einer Bar in St. Martinville, wo sie gekellnert hat. Wenige enge Freunde, falls überhaupt welche, keine feste Beziehung, weder gegenwärtig noch in jüngster Vergangenheit, zumindest den Großeltern zufolge. Man kann nicht behaupten, daß sie eine Chance auf ein richtiges Leben gehabt hätte, oder?«
Ich konnte hören, wie sich der Sheriff mit dem Daumen am Kiefer entlangfuhr.
»Nein, die hatte sie nicht«, sagte er. Sein Blick schweifte zum Fenster hinaus und wandte sich dann wieder meinem Gesicht zu. »Schlucken Sie das, daß da keine Beziehung gewesen sein soll?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Abgesehen davon, daß sie ihren Mörder wahrscheinlich kannte, haben Sie noch irgendwelche anderen Theorien?«
»Eine.«
»Und die wäre?«
»Daß ich völlig falsch liege, daß wir es mit einem Psychopathen oder Serienmörder zu tun haben.«
Er erhob sich, um zu gehen. Er hatte Übergewicht, war andauernd auf Diät, und sein Bauch ragte über seinen Revolvergurt, aber die aufrechte Körperhaltung ließ ihn größer und schlanker wirken, als er tatsächlich war.
»Da bin ich aber froh, daß wir hier mit solcher Gewißheit arbeiten, Dave«, sagte er. »Passen Sie auf, ich will, daß Sie bei diesem Fall alle verfügbaren Kräfte einsetzen. Ich will diesen Mistkerl festnageln.«
Ich nickte und fragte mich, wieso er das Offensichtliche noch einmal feststellte.
»Und genau deshalb werden wir in dieser Sache mit dem FBI zusammenarbeiten«, sagte er.
Meine Augen waren ausdruckslos, meine Hände geöffnet und reglos auf der Schreibtischunterlage.
»Sie haben die angerufen?« sagte ich.
»Das habe ich in der Tat, und der Bürgermeister auch. Der Tatbestand des Kidnapping ist genauso erfüllt wie der der Vergewaltigung und des Mordes, Dave.«
»Ja, okay, könnte sein.«
»Der Gedanke, mit diesen Burschen zusammenzuarbeiten, gefällt Ihnen nicht?«
»Mit dem FBI arbeitet man nicht zusammen, Sheriff. Von denen nimmt man Anweisungen entgegen. Man kann schon von Glück sagen, wenn sie einen vor einer Fernsehkamera nicht wie einen unwichtigen Dorfdödel behandeln. Da lernt man so richtig schön, was es heißt, in seine Schranken verwiesen zu werden.«
»Niemand kann Ihnen vorwerfen, daß es Ihnen gelingt, Ihre Gefühle zu verbergen, Dave.«
Fast auf den Punkt genau dreißig Minuten nachdem der Anwalt Oliver Montrose mein Büro verlassen hatte, warf ich einen Blick aus dem Fenster und sah Elrod T. Sykes seinen lavendelfarbenen Cadillac im Parkverbot abstellen. Die Weißwandreifen kratzten am Bordstein, und er stieg aus dem Wageninneren ins grelle Sonnenlicht. Er trug braune Hosen mit Streifen, eine Sonnenbrille und ein zitronengelbes kurzärmeliges Hemd. Der Anwalt stieg auf der Beifahrerseite aus, aber Sykes bedeutete ihm zu bleiben, wo er war. Sie hatten eine kurze Diskussion, dann betrat Sykes allein das Gebäude.
Die Sonnenbrille hatte er in der Hand, als er durch meine Bürotür trat, das Haar feucht und frisch gekämmt, ein verlegenes Grinsen im Mundwinkel.
»Nehmen Sie bitte kurz
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