Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
konnte hören, wie Tripod im toten Laub unter den Pecanbäumen an seiner Kette hin und her lief.
Im Schlaf bildete ich mir ein, ich spürte noch einmal, daß sich die .45er in meiner Hand aufbäumte, daß der Abzugsschlitten auf die nächste Patrone schlug, daß der Rückstoß durch meinen Unterarm nach oben fuhr wie die Vibration eines Schmiedehammers. Dann sah ich, wie in Zeitlupe, das Gesicht einer Frau platzen; ein kleines schwarzes Loch tat sich direkt unter dem Mund auf, dann löste sich das ganze fragile Knochengerüst auf, wie eine Gummimaske, die in sich zusammenfällt, und ihr Hinterkopf verwandelte sich unvermittelt in einen blutigen Sprühregen.
Ich wollte aufwachen, damit der Traum ein Ende hätte, meinem Bewußtsein selbst im Schlaf die Erkenntnis aufzwingen, daß es doch nur ein Traum war, aber statt dessen kamen andere Bilder, und ich hörte das abgehackte Wummern von Handfeuerwaffen, und ich sah den Rand des herbstlichen Laubwaldes, die Blätter von Feuer umrahmt. Ein Infanterietrupp der Südstaatenarmee zog sich in den Wald zurück.
Nein, ich sah sie nicht bloß; ich war in ihrer Mitte, stand mit ihnen unter Beschuß, und in meiner Kehle brannte derselbe Durst. Meine Hände zitterten, als ich meine Waffe nachzuladen versuchte, meine Haut zuckte, als ob sie jemand in Streifen abziehen wollte. Ich hörte einen Querschläger ganz dicht an meinem Ohr vorbeiwuschen und pfeifend tief im Wald verschwinden, sah die langen, scharlachroten Streifen im Laub, wo man Verletzte hinter Baumstämme geschleift hatte, und ich war insgeheim froh, daß ein anderer, nicht ich, auf die Knie gestürzt war, nach seiner Mutter geschrien hatte, vergeblich versucht hatte, die bläulichen Eingeweide wieder zurück in den Bauch zu drücken.
Der Feind rückte über ein offenes Feld vor, im Rauch der eigenen Kanonen, die Bajonette aufgestellt; ihr Artilleriefeuer flog in hohem Bogen über ihre Köpfe und schlug hinter uns ein, ließ Säulen aus Erde und Feuer zum Himmel aufsteigen. Das Licht war so sanft und golden wie die Jahreszeit, aber die Luft im Wald war stickig, voller Staub und Blattpartikel, Pulverdampf, dem Geruch wundbrandschwarzer Verbände und dem Aroma von Blut.
Da wußte ich, selbst im Schlaf, was dieser Traum bedeutete. Ich konnte jetzt die Gesichter des Feindes sehen, hörte das Klappern ihrer Ausrüstung, ihre Offiziere, die brüllten: »In Formation, Jungs, in Formation!« Sie waren jung, verängstigt, hatten weder von Politik noch von Ökonomie eine Ahnung und zitterten am ganzen Leib, genau wie ich, der Mund war ihnen selbst für ein Gebet zu trocken, und ihre verschwitzten Hände hielten Kolben und Schaft ihrer Gewehre umklammert. Aber ihre Unschuld, die noch bartlosen Gesichter, die roten Blumen, die aus ihrer jugendlichen Brust hervorbarsten, all das war mir egal. Ich wollte nur leben. Ich wollte, daß jede Kugel, die wir abfeuerten, ein Ziel fand, Knochen brach, Lungen zerriß und Herzen zerschmetterte; ich wollte, daß sich ihre Reihen in eine Kakophonie von Schmerz und Elend auflösten.
Mein Kopf fuhr vom Kissen auf. Im Zimmer war es heiß und stickig, und Staubpartikel trudelten in den schwachen Lichtkegeln, die durch die Vorhänge hereinfielen. Mein Atem rasselte in der Kehle, und Brust und Bauch waren schweißglatt.
Der General saß auf einem Stuhl mit gerader Lehne am Fuß meines Bettes, den Offiziershut auf ein Knie gelegt. Sein Bart war frisch getrimmt, und er trug einen sauber gebürsteten grauen Mantel mit einem hohen goldenen Kragen. Er betrachtete durchs Fenster hindurch die unsteten Lichtraster, die sich um die Pecanbäume und Eichen bildeten.
»Sie?«
sagte ich.
»Ich will doch hoffen, daß Sie gegen meine Anwesenheit nichts einzuwenden haben.«
»Nein, ich – ich war nur überrascht.«
»Gefühle, wie Sie sie gerade hatten, Mr. Robicheaux, sollten Sie nicht reuig stimmen. Der Wunsch zu überleben bedeutet noch lange nicht, daß man es an Menschlichkeit fehlen läßt.«
»Ich habe zu schnell auf den Buick geschossen. Ich habe das ganze Magazin abgefeuert, ohne daß ich überhaupt sah, worauf ich da schoß.«
»Sie haben gedacht, Ihr Leben sei in Gefahr, Sir. Was hätten Sie sonst tun sollen?«
»Die sagen, ich hätte eine unbewaffnete Frau getötet, General.«
»Ja, ich möchte doch meinen, daß mir das auch zu schaffen machen würde.«
Er ließ den Hut auf seinem Knie kreisen.
»Ich habe den Eindruck, daß Sie Ihren Vater, den Fallensteller, sehr
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