Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
zurückgeschossen. Ich bin nicht sicher, wer da auf mich geschossen hat oder was diese Frau da zu suchen hatte. Aber die Situation ist lange nicht so einfach, wie manche Leute vielleicht denken mögen. Manchmal fällt es sehr schwer, die Wahrheit zu entdecken, Kleines.«
»Hast du getan, was die sagen, Dave?« Ich konnte die Angst sehen, die in ihren braunen Augen glänzte.
»Das weiß ich nicht. Aber ich habe noch nie auf jemanden geschossen, der nicht zuerst versucht hat, mir was zu tun. Das mußt du mir glauben, Alf. Ich bin mir nicht sicher, was gestern abend passiert ist, aber früher oder später werde ich es schon herausfinden. In der Zwischenzeit müssen Leute wie du und ich und Bootsie Rückgrat zeigen und einander vertrauen.«
Ich kämmte ihr mit den Fingern den lang geschnittenen Pony aus den Augen. Sie blickte lange auf die sirrenden Blätter des Ventilators im Fenster und die Schatten, die sie aufs Bett warfen.
»Die haben kein Recht dazu«, sagte sie.
»Wer?«
»Diese Leute. Die haben nicht das Recht, so über dich zu reden.«
»Nun, sie haben das Recht, die Zeitung zu lesen.«
»Die Lady am Ladentresen hat noch was gesagt, bevor wir reinkamen. Ich hab sie durch die Fliegentür gehört. Sie hat gesagt: ›Wenn er wieder trinkt, dann überrascht’s mich nicht im geringsten, wenn er so was tut, o nein.‹ Dann hat der Mann angefangen, laut aus der Zeitung vorzulesen.«
Ich hob sie an der Taille hoch und setzte sie aufs Bett. Ihr muskulöser Körper war so kompakt wie ein kleiner Baumstamm.
»Paß auf, Kleines«, sagte ich, »Trinken hat in meinem Leben keinen Platz mehr. Das hab ich an meine höhere Macht weitergereicht.«
Ich streichelte ihr Haar und sah, wie um ihren Mund und ihre Augen ein Lächeln aufkam.
»Dave?«
»Was?«
»Was heißt das, wenn du sagst, man muß Rückgrat zeigen?«
»Egal wie die anderen einem einheizen, du mußt grinsen und unbeirrt durch den Pulverdampf hindurchmarschieren. Das macht sie verrückt.«
Sie grinste jetzt breit, und ihr Gebiß mit den einzeln stehenden Zähnen hob sich strahlend weiß von den Schatten im Zimmer ab.
»Wo ist Bootsie?« fragte ich.
»Die macht Abendessen.«
»Was gibt es denn?«
»Sac-à-lait
und Reis.«
»Hast du gewußt, daß sie damit die Güterzüge in Louisiana fahren lassen?«
Sie sprang ein paarmal wie auf einem Trampolin auf der Bettkante, dann registrierte sie meine Worte. »Was? Güter .... was?« sagte sie.
»Ich zieh mich nur kurz an, Kleines, dann gehen wir mal schauen, was das Essen macht.«
Die Erklärung, die ich Alafair gegeben hatte, war die beste, die ich auf Lager hatte, aber in Wahrheit sah die Sache so aus, daß ich unbedingt zu einem Meeting der Anonymen Alkoholiker gehen mußte. Seit der Nacht, in der ich den General und seine Soldaten im Nebel gesehen hatte, hatte ich einmal am Telefon mit meinem AA-Sponsor gesprochen, war aber zu keinem einzigen unserer Treffen gegangen, obwohl ich es doch nötiger als alles andere brauchte. Was der Erdbevölkerung (wie Mitglieder der Anonymen Alkoholiker Nicht-Alkoholiker nennen) irrational, abnormal, abartig, lachhaft, unlogisch, bizarr oder schizophren vorkommt, finden AA-Mitglieder für gewöhnlich ziemlich normal.
Die Leute nehmen immer an, daß katholischen Priestern im Beichtstuhl die dunkelsten Ecken der menschlichen Seele offenbart werden. Die Wahrheit liegt ganz anders. Jeder katholische Priester, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wird einem sagen, daß die Beichten der meisten Menschen den Beichtvater bis zum Abwinken langweilen; der durchschnittliche reuige Sünder, der einmal pro Woche aufkreuzt, offenbart dabei meistens ein Ausmaß moralischer Verfehlungen, das nicht über unbezahlte Strafzettel und überfällige Bücher aus der Stadtbibliothek hinausgeht.
Aber bei unseren AA-Meetings habe ich im Laufe der Zeit alles gehört: Erpressung, Diebstahl, Fälschung, bewaffnete Raubüberfälle, Kindesmißbrauch, Unzucht mit Tieren, Brandstiftung, Prostitution, tödliche Autounfälle mit Fahrerflucht und Morde an Gefangenen und Zivilisten in Vietnam.
Ich ging zu einem Nachmittagstreffen im ersten Stock einer Episkopalkirche. Ich kannte fast alle der Anwesenden: ein paar Hausfrauen, ein Schwarzer, der eine Baumschule betrieb, eine katholische Nonne, ein ehemaliger Zuchthäusler und Barkeeper namens Tee Neg, der mein Sponsor war, eine Frau, die früher in der Bar des Column Hotel in Lafayette als Nutte angeschafft hatte, ein Psychologe, der Besitzer einer
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