Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
wollen?«
Ich hatte vor langer Zeit gelernt, daß es nichts brachte, Sollies Launen, Intentionen oder seinem Satzbau etwas entgegen zusetzen.
»Die Schwerkraft ist es«, sagte er. »Die Erde zieht immer an uns – sie versucht uns aufzusaugen.«
»Was?«
»Daran hat der Schütze nicht gedacht«, sagte er. »Blut ist ein Stoff wie jeder andere auch. Geht auf dem direktesten Weg nach unten. Wenn das Herz seine Funktion einstellt, in diesem Fall erst das Gehirn und dann das Herz, dann sucht sich das Blut den kürzesten Weg nach unten. Können Sie mir folgen?«
»Nicht ganz.«
»Das Blut sammelt sich so tief unten wie möglich, je nach Lage des Körpers. Die Fotos zeigen die Frau auf dem Boden des Buick, auf der Seite liegend, zusammengekrümmt. Ihr Kopf lag höher als die Knie. Aber die Autopsie zeigt, daß sie zum Zeitpunkt ihres Todes gerade auf dem Rücken lag. Außerdem hatte sie eine Menge Alkohol und Kokain im Blut. Gut möglich, daß sie nicht bei Bewußtsein war, als sie starb.«
»Sie ist also woanders erschossen worden und wurde dann transportiert?«
»Es sei denn, daß Tote heutzutage alleine rumspazieren.«
»Sie sind ein echter Freund, Sollie.«
»Tragen Sie nie was anderes als eine .45er? Nie eine Neunmillimeter oder eine .357er?«
»Nein, ich habe immer dieselbe Colt .45er Automatik getragen, die ich aus Vietnam mitgebracht habe.«
»Wie viele Leute wissen das?«
»Nicht viele. Die meisten davon sind Cops, nehme ich mal an.«
»Kein Gedanke, bei dem ich ruhig schlafen könnte. Machen Sie’s gut, Robicheaux.«
Aber dies war kein Augenblick zum Grübeln. Ich lief zurück zu dem Hotdog-Stand und kaufte Snowballs für ein halbes Dutzend Kids. Als ein Baseball vom Spielfeld in meine Richtung flog, fischte ich ihn aus der Luft, rieb über das grobe Pferdeleder, faßte ihn mit den Fingern fest an den Nähten und warf ihn mit einer ausladenden Bewegung und kunstvollem Effet in den Handschuh des Fängers, als sei ich neunzehn und könnte ein Loch durch das Netz hinterm Schlagmal blasen.
An diesem Abend rief ich Lou Girard bei sich zu Hause in Lafayette an und erzählte ihm von meinem Gespräch mit dem Leichenbeschauer und der Mulattin, die gegenüber der Bar wohnte. Ich fragte ihn, ob jemand den Innenraum des Buick mit einem Staubsauger abgesucht hatte.
»Dave, ich fürchte, dieser Fall genießt hier bei uns nicht unbedingt Priorität«, sagte er.
»Wie kommt das?«
»Der zuständige Detective hält dich für eine Nervensäge, die besser in ihrem eigenen Territorium geblieben wäre.«
»Wann ist Amber Martinez das letzte Mal lebend gesehen worden?«
»Vor drei oder vier Tagen. Sie hatte immer wieder Phasen schweren Alkohol- und Drogenkonsums. Es heißt zwar, daß sie mit dem Anschaffen aufhören wollte, aber wie ich es sehe, wäre das immer nur solange gut gegangen, bis es sie wieder richtig gejuckt hätte. Dann hätte sie sich an den nächsten spendablen Kerl rangemacht, bis sie irgendwo in einer Ausnüchterungszelle oder einer Entziehungsklinik gelandet wäre.«
»Wer war ihr Zuhälter?«
»Ihr Mann. Aber er sitzt seit drei Wochen hinter Gittern -wegen Scheckfälschung. Wer immer sie getötet hat, hat sie wahrscheinlich in irgendeiner Bar aufgetan.«
»Yeah, aber er hat sie vorher schon gekannt. Er hat eine andere Frau dazu gebracht, in Ambers Namen bei mir im Büro anzurufen und Nachrichten zu hinterlassen.«
»Wenn ich es schaffe, daß noch mal jemand mit dem Sauger in den Buick geht, wonach sollen wir dann genau suchen?«
»Ich habe Mündungsfeuer im Wagen gesehen. Das weiß ich hundertprozentig. Aber die Vorderseite des Lokals wies keinerlei Einschüsse auf. Schaut doch mal, was ihr findet.«
»Was könnte das sein?«
»Das weiß ich nicht.«
»Warum vergißt du nicht einfach die ganze Laborscheiße und konzentrierst dich auf das, was dir deine Nase sagt?«
»Und das wäre?«
»Das ist nicht das Werk eines einzelnen Arschlochs. Die ganze Sache stinkt nach den Schmalzlocken. Insbesondere nach einer ausgesucht cleveren Schmalzlocke.«
»Meinst du wirklich, das wäre Julies Stil?«
»Ich bin zwei Jahre bei einer Sonderkommission gewesen, die versucht hat, ihn vor Gericht zu bringen. Wenn er’s persönlich nimmt und jemand erledigt werden muß, dann haut er dem Kerl einen Fleischerhaken in den Arsch. Aber wenn ein Cop oder ein Richter oder ein Gewerkschaftsfunktionär aus dem Weg geräumt werden muß, dann geschieht das immer aus sicherer Entfernung, mit einer ganzen Kette von
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