Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
beispielsweise?«
»Vielleicht. Vielleicht hat er auch irgendwelche Cops oder Politiker geschmiert. Es gibt viele Wege, im Geschäft zu bleiben.«
»Aber auf die eine oder andere Art erwischt’s die meisten irgendwann doch. Stimmt’s nicht?«
Sie hob die Bierflasche an den Mund und saugte den Schaum aus dem Hals.
»Ich glaub nicht, daß überhaupt jemand groß über diesen Typ das Maul aufreißt«, sagte sie. »Man hört da so manches, wenn du verstehst, was ich meine. Beispielsweise, daß dieser Typ, den du suchst, jemand ist, von dem man nicht will, daß er wütend auf einen ist. Und man hört auch, daß er seinen Täubchen ziemlich hart zusetzt.«
»Und stimmt das?«
Sie stellte die leere Flasche auf den Muscheln ab und lieb die Hände lose im Schoß baumeln. Einen Augenblick lang verschwand der Alkoholglanz aus ihren Augen, und ihr Gesichtsausdruck wurde eigenartig nach innen gekehrt, als konzentriere sie sich auf ein vergessenes Bild tief in ihrem Innern.
»Wenn man hier dazugehört, dann hört man eine Menge übler Geschichten, Süßer. Das liegt daran, daß es nicht viel gute gibt«, sagte sie.
»Der Mann, den ich suche, ist vielleicht ein Serienmörder, Charlotte.«
»So ein Typ ist immer ein Freier, kein Zuhälter, Streak.« Sie stützte sich auf die Unterarme, paffte an ihrer Zigarette, starrte auf die Hunderte von Kronenkorken, die zu ihren Füßen in den Erdboden getrampelt waren. Rauch umhüllte das steif frisierte Haar. »Geh heim. Hier wirst du nichts ändern. Jeder hier an dieser Straße ist letztlich freiwillig hier, so oder so.«
»Niemand läßt sich freiwillig umbringen.«
Darauf gab sie keine Antwort. Sie kratzte an einem Mückenstich auf ihrer Kniescheibe und blickte auf einen Wagen, der auf das Meldefenster des Motels zufuhr.
»Wer ist denn dieser Tage der Obermacker der Typen, die den Busbahnhof abklappern?« sagte ich.
»Das ist Downtown Bobby Brown. Der war mal im Bau, weil er sich an ’nem Kind vergriffen hat. Jetzt ist er ’n Profi, ein ausgesuchtes Stück Scheiße. Geh zurück zu deiner Familie, Streak, bevor du anfängst, Gefallen an deiner Arbeit zu finden.«
Sie schnippte mit einem Rückhandwurf die Zigarette weg, kam auf die Beine, zog das Kleid an den Elefantenhüften gerade, blinzelte mir zu, als stünde sie im Begriff, ihren Abgang von einer Varietébühne zu machen, und stakste mit vorsichtigen Schritten über die Austernschalen zu ihrem Motel und dem Pärchen, das ungeduldig in der Hitze und dem Staub und dem Rattern eines elektrischen Insektenvernichters über dem Meldefenster auf sie wartete.
Die Geier am Busbahnhof sind dort zu nahezu jedem Zeitpunkt rund um die Uhr anzutreffen. Aber ihre beste Zeit haben sie spät in der Nacht. Das ist für gewöhnlich der Zeitpunkt, wenn den Abenteurerinnen aus Vidalia oder De Ridder oder Wiggins, Mississippi, das letzte Geld, die letzte Energie und die letzte Hoffnung abhanden gekommen ist, einen besseren Platz zum Schlafen zu finden als ein leerstehendes Gebäude oder ein offizielles Obdachlosenasyl, wo man sie sofort als Ausreißer meldete. Es ist auch nicht schwer, die Abenteurerinnen zu erkennen. Ihre Mundwinkel zeigen nach unten, ihre Haare sind schlaff und kleben wie nasse Fäden an ihren Hälsen; oft sind ihre Hände und dünnen Arme mit hausgemachten Tätowierungen gesprenkelt; sie waschen sich mit Papierhandtüchern unter den Achseln und putzen sich in der Bahnhofstoilette die Zähne.
Ich beobachtete ihn, wie er den Warteraum durchschritt, einen Lederbeutel an einem Riemen über die Schulter geschwungen, ein Funkeln in den Augen, einen Regenhut keck und schief auf dem Kopf, das weiße Tropenhemd über den Khakihosen. Auf den Beutel war ein goldenes Kreuz gemalt.
Die beiden Mädchen waren weiß, blond, und sie trugen formlose Jeans, Tennisschuhe ohne Socken, Blusen, die salzgebleicht und steif vor getrocknetem Schweiß wirkten. Als er mit ihnen sprach, erinnerte mich sein fröhliches Gesicht an einen mythischen Ballonmann mit Bocksfuß, der den Kindern im Frühling ein fröhlich Liedlein pfeift. Dann brachte er aus seinem Beutel Schokoriegel und Schinkensandwiches zum Vorschein, eine Thermoskanne mit Kaffee, Pflaumen und rote Äpfel, die eine Kinderhand winzig erscheinen lassen würden.
Die Mädchen vergruben sich beide in ihre Sandwiches, und schon saß er neben ihnen, ohne Unterlaß redend, das Lächeln so breit wie die Klinge einer Axt, die Augen so strahlend wie die eines Kobolds, und das goldene Kreuz auf
Weitere Kostenlose Bücher