Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
Vom Netzwerk:
vermacht. Hör endlich auf, mir die Unschuldige vorzuspielen.«
    Er schlug die Felle zurück und ging. Sie saß da, hielt Lotti immer noch umschlungen und wünschte sich den Tod. Doch sie durfte nicht sterben, Lotti zuliebe, ihrer tapferen, kleinen Schwester. Diesmal hatte das Kind sie gerettet. Und beim nächsten Mal? Ihr war klar, daß er ihr irgendwann seinen Willen aufzwingen würde.
    Magnus stapfte verärgert die Mittelplanken entlang. Hätte einer der Männer gelacht, hätte er ihn kaltblütig über Bord geworfen. Doch keiner wagte auch nur ein schiefes Grinsen. Er war verärgert, sein Körper verkrampft, seine Kopfhaut brannte, wo Lotti ihn wütend an den Haaren gezogen hatte. Plötzlich blieb er stehen und sagte zu seinen schweigenden Männern: »Die Kleine kann nichts hören. Seid vorsichtig, wenn ihr mit ihr spielt. Es soll ihr nichts Böses geschehen.«
    Tostig hob erstaunt den Kopf. »Wir wissen doch, daß sie nicht hören kann. Hältst du uns für blöde?«
    »Ja«, stimmte Horkel ihm zu. »Aber die Kleine lernt rasch. Ich habe ihr ein Wort beigebracht — >Rabe<. Sie kann es fast schon richtig aussprechen.«
    »Sie ist ein kluges, kleines Ding«, fügte Ragnar, wenn auch mürrisch, hinzu. Er würde seine Wut über die hinterhältige Irin nicht an der Kleinen auslassen. Sein Kopf schmerzte immer noch von dem Schlag, den die Hexe ihm versetzt hatte. »Sie hat meine Finger und Zehen gezählt.«
    »Und warum habt ihr sie reingelassen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, begab Magnus sich mit einer wegwerfenden Handbewegung zum Heck des Schiffes.
    Was war er bloß für ein Narr gewesen. Er hatte nicht bemerkt, daß das Kind nicht hören konnte, aber seine Männer hatten das ganz schnell begriffen. Seine Blindheit erschreckte ihn. Er war der Herr dieses Schiffes, der Anführer seiner Männer, alle gehorchten seinen Befehlen, und es war ihm nicht aufgefallen, daß das Kind kein Gehör hatte.
    »Die Kleine hat ihre Schwester gerettet«, sagte Horkel in die Runde und warf Magnus einen Blick zu, der mit dem Rücken zu ihnen auf einer Kiste hockte. »Aber bald nimmt er sie doch, schätze ich.«
    »Aber er wird dem Kind nichts antun.«
    Lotti wich nicht mehr von Zarabeths Seite.
    In der Nacht gab es ein Unwetter. Vom Himmel zuckten grelle Blitze. Der Donner polterte ohrenbetäubend, und Zarabeth kauerte vor Entsetzen gelähmt mit Lotti auf dem Schoß und stammelte beruhigende Worte, um nicht nur Lotti, sondern auch sich selbst zu beruhigen. Vom Sturm gepeitscht schoß das Boot die Wellen steil nach oben, um an den Kämmen mit rasender Geschwindigkeit und ohrenbetäubendem Getöse in den brausenden Wellenschlund zu stürzen. Die Wellen krachten über dem Boot zusammen, die Männer schöpften wie wild Wasser. Magnus' Stimme brüllte Befehle, die das Toben der Elemente kaum zu übertönten vermochten. Der mächtige Mast knarrte und schwankte bedenklich. Die Männer beeilten sich, ihn umzulegen, damit der Sturm ihn nicht zersplitterte. So sehr Zarabeths Gefühle für Magnus schwankten, tief im Innern wußte sie, daß sie den Sturm mit heiler Haut überstehen würden, weil Magnus den Elementen zu trotzen verstand. Und plötzlich wurde sie ganz ruhig. In diesem Punkt konnte sie ihm völlig vertrauen. Bald darauf schlief sie ein.
    Als Magnus gegen Morgen den Frachtraum betrat, nachdem der Sturm sich beinahe gelegt hatte, huschte der Anflug eines Lächelns über sein Gesicht, als er Zarabeth und Lotti eng umschlungen, friedlich schlafend vorfand. Er breitete eine Wolldecke über die beiden, denn es war kühl geworden. Zarabeth schlug plötzlich die Augen auf und sah Magnus an. Schweigend drehte er sich um und ging.
    Spät am Nachmittag lief die Seewind in den Hafen von Hedeby ein, eine enge Meeresbucht, von der offenen See durch Holzpalisaden geschützt, die in einem weiten Halbrund in das Wasser gerammt waren. Die Stadt war zum Landesinneren von hohen halbmondförmigen Befestigungswällen umgeben. Etwa ein Dutzend Wikinger Handelsschiffe waren an Land gezogen, denn es gab nur einen Steg, an dem zu beiden Seiten je ein Boot vertäut lag. Von den Häusern innerhalb des Befestigungswalles stieg Rauch auf, der sich wie eine Dunstglocke über die Stadt legte. Die Wege waren mit Holzplanken belegt und verbanden die Häuser miteinander. Es gab mehr Menschen als in York. Und alle schienen es eilig zu haben und einer wichtigen Tätigkeit nachzugehen.
    Die Männer sprangen ins seichte Wasser und zogen die Seewind an Land. Magnus rief

Weitere Kostenlose Bücher