Im Schatten der Mitternachtssonne
weil es ihn überhaupt nicht berührte. Wenn sie gestorben wäre, hätte es ihn auch gleichgültig gelassen. Um seine Untat zu vertuschen, behauptete er, sie sei schwachsinnig. Das erzählte er allen Leuten.«
»Du hast also Rache an Olav genommen«, sagte er und fügte rasch hinzu: »Sie sagt deinen Namen, aber irgendwie verschwommen.«
»Ja, sie konnte ein paar Worte sprechen, bevor er sie geschlagen hat. Sie kennt die Bedeutung einiger Worte und mit etwas Geduld wird sie lernen, besser zu sprechen.«
»Das hättest du mir sagen müssen.«
Erstaunen und Verachtung lagen in ihrem Blick. »Wozu? Damit du noch grausamer zu ihr sein kannst? Damit du eine Waffe mehr gegen mich in der Hand hast?«
»Ich würde ein Kind nicht als Waffe gegen Menschen benutzen.«
»Aber ich bin kein Mensch, ich bin nur eine Frau.«
»Nein, du bist eine Sklavin und dann erst eine Frau.«
Sie senkte den Blick. Welchen Sinn hatte es, ihm zu antworten? Sie tätschelte Lotti und sprach ruhig auf sie ein, nahm keine Notiz mehr von ihm. Sie verschloß sich, zog sich in sich selbst zurück. Das ärgerte ihn.
»Wenn das Kind nicht hören kann, wieso ist es dann gekommen?«
Ohne den Kopf zu heben, antwortete sie: »Ich weiß nicht. Ich nehme an, sie hat gesehen, wie du hereingekommen bist. Sie hat Angst vor dir und wollte mich beschützen. Ich bitte dich, ihr nicht wehzutun.«
»Ich habe dir bereits gesagt, daß ich Kindern nicht weh tue.«
»Das ist eine Lüge. Ich kenne Wikinger, wie du einer bist, und ich habe von ihren blutrünstigen Raubzügen gehört. Ihr tötet ohne Grund und ohne Sinn und Verstand. König Alfred muß ständig Krieg führen, um sein Volk davor zu schützen, von euch Barbaren abgeschlachtet zu werden.«
»So sind wir eben. Es geschehen manchmal Dinge, die nicht nach meinem Wunsch sind. Aber wieso bedauerst du Alfred? Er ist für dich wie ein Wesen aus einer anderen Welt, über den die unglücklichen Sachsen am Herdfeuer im Winter reden. Wenn Alfred ihr König wäre, würde auch er sie schröpfen und ausbeuten. Guthrum ist dein König und der König deines toten Ehemannes. Du hast einem Wikinger treu zu sein, nicht einem Sachsenkönig.«
Sie hob die Schultern. »Um die Wahrheit zu sagen, ich hasse euch alle, eure sinnlose Gewalt, eure Mordlust. Ihr seid allesamt Wilde, und ich bezweifle nicht, daß der edle Alfred genau so wild und grausam ist, wie du es bist.«
»Du bist jetzt die Sklavin eines Wilden. Ich möchte mir deine Klagen nicht länger anhören.«
»Und ich möchte nicht, daß du mir Gewalt antust.«
»Ich habe keine große Lust, dich mit Gewalt zu nehmen, aber du zwingst mich dazu, wenn du dich mir weiterhin widersetzt. Wenn du damit nicht aufhörst, wirst du umso mehr leiden. Mich läßt dein Schmerz kalt, aber vielleicht denkst du darüber nach. Ich nehme dich, Zarabeth, das mußt du endlich begreifen. Deine Wünsche, deine Gefühlen haben für mich keine Bedeutung. Du bist noch Jungfrau, hab ich recht?« Er erwartete keine Antwort. Es war nur ein laut gedachter Gedanke. »Mein Finger konnte nicht in dich eindringen. In dir war noch kein Mann ... Du hast den Alten geheiratet . . . vielleicht hast du gewußt, daß er dich nicht nehmen kann. Hattest wohl keine Lust, seine Zudringlichkeiten länger zu ertragen? Oder hast du ihm bereits in der Hochzeitsnacht Gift gegeben, damit du ihn nicht in deinem Bett haben mußtest?«
»Du sprichst wie ein Rohling ohne Verstand. Es ärgert dich wohl, daß ich es vorgezogen habe, einen alten Mann zu heiraten, als deine Frau zu werden?« Sie sprach voller Hohn, und er wünschte, den Mund gehalten zu haben. »Was hätte ich mir wohl eingehandelt, wenn ich so dumm gewesen wäre, dich zu nehmen . . . einen starken Mann, so sanft und zärtlich, daß er eine hilflose Frau vergewaltigen muß. All die wunderschönen Versprechungen, die du mir gemacht hast, waren Lügen, die Lügen eines barbarischen Wikingers.«
Plötzlich baute er sich drohend vor ihr auf. »Ich habe nicht gelogen! Ich hätte dich geliebt und dich mit meinem Leben beschützt. Ich hätte dir alles gegeben, was ich bin, was ich besitze, aber du hast den alten Mann vorgezogen. Du hast ihn umgebracht, Zarabeth, darüber gibt es keinen Zweifel. Ich habe alle Zeugen gehört, bevor du dem König vorgeführt wurdest. Sie alle haben bestätigt, daß du es auf den Reichtum des alten Mannes abgesehen hast, daß du ihn am Gängelband hattest. Und weil er dich begehrte, hat er dir seinen ganzen irdischen Besitz
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