Im Schatten der Pineta
Täter, aber dazu muss man es gut kennen.«
»Ja, glaube ich auch. Also, dann kann ich ja …«
»Schauen Sie, ich sag Ihnen mal was. Aber behalten Sie das bitte für sich.«
Massimo fügte sich in sein Schicksal und lehnte sich mit dem Rücken an den Türrahmen. »Allmählich wird es wirklich schwierig. – Nein, entschuldigen Sie, ich hab an was anderes gedacht. Also, was wollten Sie mir sagen?«
»Wir wissen, dass das Mädchen gestern eine Verabredung hatte, zu der sie nicht erschienen ist. Die verabredete Uhrzeit lag ungefähr zwei Stunden vor dem Zeitpunkt ihrer Ermordung. Man müsste herausfinden, wo sie gewesen ist. Falls Sie diesbezüglich etwas hören, sagen Sie niemandem etwas, sondern kommen Sie unverzüglich zu mir. Alles, jedes noch so kleine Detail, könnte von Bedeutung sein. Auf Wiedersehen, Signor Viviani.«
Nachdem er das Kommissariat verlassen hatte, ging Massimo zu Fuß Richtung Zentrum, wo sich seine Bar befand.
Wenn sie nicht zu ihrer Verabredung erschienen war, dachte er, gab es zwei Möglichkeiten. Die erste, sie war dorthin gegangen, wo sie umgebracht wurde. Die zweite … nun, dass sie bereits tot war. Nein, der Todeszeitpunkt schloss das aus. Aber es gab trotzdem noch eine zweite Möglichkeit, überlegte er weiter. Die Person, die behauptete, mit ihr verabredet gewesen zu sein, sagte womöglich nicht die Wahrheit. Und warum? Um jemanden zu decken? Oder um sich ein Alibi zu verschaffen? Ach, was soll’s, von solchen Dingen verstehe ich sowieso nichts, dachte er.
Eine Frau ging an ihm vorüber und sah ihn neugierig an, und erst da wurde Massimo bewusst, dass er laut mit sich selbst gesprochen hatte.
Er ertappte sich häufig dabei, wie er Selbstgespräche führte, wenn er intensiv nachdachte: eine Angewohnheit, die er sich in den ersten Jahren seines Studiums zugelegt hatte, als er für die Prüfungen lernte. Damals stellte er sich bildhaft den jeweiligen Professor vor, rief ihn sich physisch vor Augen und interagierte dann so real mit ihm, dass er sich auch mal übers Wetter mit ihm austauschte. So entdeckte er, dass, indem er jemandem einen Gedankengang auseinandersetzte, die jeweilige These immer klarere Konturen in seinem Kopf annahm: Es war, als zwänge er seine Gedanken, sich in der richtigen Geschwindigkeit zu bewegen. Wie auch immer, dabei erwischt zu werden, wie er in aller Öffentlichkeit Selbstgespräche führte, störte ihn gewaltig, also dachte er an gar nichts mehr, bis er in der Bar ankam.
Es war schon nach zwei Uhr, als das letzte Paar die Bar verließ, und zwar erst nachdem Massimo angefangen hatte, die Stühle zusammenzustellen, wobei er einen ziemlichen Lärm veranstaltete und laut mitzählte. Es war ja eigentlich nicht anders zu erwarten gewesen: Wenn in einem kleinen Ort am Meer, noch dazu im Sommer, ein Verbrechen geschieht, reden die Leute von nichts anderem mehr. Und wenn man sich dann auch noch in der Bar befindet, deren Besitzer quasi die Leiche entdeckt hat, ist erst recht Party angesagt. Hin und wieder im Laufe des Abends hatte jemand, der irrigerweise meinte, einen originellen Einfall zu haben, die Stimme erhoben und mit seinem Organ den Rest der krakeelenden Clique übertönt, der er angehörte: »Hey, Leute, ist euch eigentlich klar, dass Massimo heute Morgen die Leiche gefunden hat? Warum erzählst du uns nicht, wie das gelaufen ist? Na komm …«
Er hatte es ungefähr ein Dutzend Mal erzählt und jedes Mal neue Einzelheiten hinzugefügt, damit er sich nicht allzu sehr langweilte.
»Massimo, morgen früh schließ ich die Bar auf, dann kannst du mal ausschlafen. Ich bleib bis Mittag und komm abends um halb sieben wieder. Okay?«
Tiziana, seine Aushilfe, fegte den Boden, während er die Reste des Salzgebäcks wegschüttete. Massimo hatte sie nicht nur eingestellt, weil sie groß war, eine gute Haltung und rote Haare hatte – schließlich trug sie ihren Namen nicht umsonst –, sondern auch, weil sie zwei weitere Qualitäten in sich vereinte, die für die Arbeit in einer Bar unerlässlich waren: Erstens war sie nicht ungeschickt. Zweitens hatte sie zwei Prachtexemplare von Brüsten, die sie recht erfolglos in hautengen T-Shirts oder Blüschen zu verstecken suchte, deren Knöpfe sie offen ließ und die unten nur von einem Knoten zusammengehalten wurden. Mittlerweile hatte sich Massimo daran gewöhnt, aber anfangs hatte er sich oft dabei ertappt, wie er geradezu hypnotisiert ihren Busen anstarrte, während er mit ihr sprach, als wäre nichts dabei.
Weitere Kostenlose Bücher