Im Schatten der Pineta
und sie aus einer gewissen Höhe hinunterfallen lässt?« »Was passiert, wenn ich dieses kegelförmige Metallding aufhebe?« Die Antwort auf die letzte Frage – kann sein, dass dir das Objekt in der Hand explodiert – hatte ihn vier Finger gekostet und der Tod seiner Eltern vier Jahre später Kost und Logis. Und so kam es, dass Remo Carlini, genannt Okay – weil sein Daumen als einziger ihm verbliebener Finger der rechten Hand immer aussah, als würde er das »Okay«-Zeichen machen, eine typische Geste in den amerikanischen Filmen der Sechzigerjahre –, ein Obdachloser wurde, übrigens der einzige in Pineta. Er aß, was er Essbares in den Mülltonnen aufstöberte, vorzugsweise in den Hinterhöfen der Restaurants, und hin und wieder betrat er eine Bar, um ein Gläschen zu trinken, das er mit dem Kleingeld bezahlte, das er auf der Straße fand. Er bettelte nicht und suchte auch nicht die Gesellschaft von Menschen, abgesehen von zwei, drei Freunden aus seiner Kindheit, die noch am Leben waren.
Damals, kurz nachdem er die Bar eröffnet hatte, bemerkte Massimo, wie ein Mann in den Mülltonnen nach Essensresten wühlte, und hatte sich den Kopf darüber zerbrochen, wie er ihm etwas zukommen lassen konnte, ohne es ihm direkt anzubieten: Man hatte ihm gesagt, dass Okay nichts annehme und es quasi unmöglich sei, auch nur zwei Worte mit ihm zu wechseln. Schließlich hatte sich Massimo angewöhnt, übrig gebliebene Tramezzini auf einen viereckigen Pappteller zu geben, sie sorgfältig in Zellophan einzuschlagen und gut sichtbar auf der Mülltonne zu platzieren. Okay, dem die Geste nicht entgangen war, grüßte Massimo seither stumm, wann immer er ihm auf der Straße begegnete, und lüpfte den nicht vorhandenen Hut. An diesem Tag war es das vierte oder fünfte Mal in den drei Jahren, dass Massimo seine Stimme vernahm.
»Wichtig ja, in Gottes Namen. Dieses Mädchen da, die in dem Müllcontainer, nich? Die haben sie erst später da reingetan.«
»Was willst du damit sagen? Was heißt später?«, fragte Massimo, der von dem Gestammel des Penners so gut wie nichts verstanden hatte.
»Hör zu. Also hör zu. Dieses tote Mädchen, die hast du gefunden, nich?«
»Ja, das stimmt.«
»Gut. Du hast sie um Viertel nach fünf gefunden, stimmt’s? Hat Ampelio gesagt. Aber gestern war Samstag, und da haben die Restaurants nix weggeschmissen. Also hab ich gestern Nacht Kohldampf geschoben. Hab alle Mülltonnen abgeklappert, überall, aber nirgends was gefunden. Also bin ich zum Pinienwäldchen gegangen, wo sie immer Picknick machen. Vielleicht, hab ich gedacht, haben se was übrig gelassen. Aber auch da alles leer. Nix zu finden. Kein Hühnchenfleisch, aber auch sonst kein Fleisch, verstehste?«
Ja doch, ich hab verstanden, dachte Massimo.
»Also, ich geh dann wieder. Sag’s den Bullen und dem Idioten, der mich letztes Jahr einbuchten wollt, wegen Landstreicherei.«
Deswegen bist du also zu mir gekommen, dachte Massimo. Er erinnerte sich verschwommen an den Vorfall. Klar, dass Okay kein Vertrauen zu den Behörden hatte.
»Wie spät war es, als du dort warst?«
»Ach so, ja. Halb fünf.«
»Auf welcher Uhr denn?«, fragte Del Tacca zweifelnd. »Deiner Rolex vielleicht?«
»Nein, auf der, die mir die Schlampe von deiner Mutter geschenkt hat und die ich im Banksafe aufheb«, gab Okay zurück, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich hab’s auf der Uhr von der Disco gesehen, auf der die so grün leuchtet. Die sieht man schon von Weitem.«
Okay ergriff das Tässchen und kippte den Kaffee hinunter, dann stand er auf und ging wie immer in einwandfreier Haltung hinaus.
»Stimmt«, sagte Aldo, »die Laseruhr an der Außenmauer des Imperial. Die sieht man auch vom Strand aus. Also, rekapitulieren wir: Die Kleine wurde zwischen Mitternacht und drei Uhr ermordet, richtig?«
»Richtig«, sagte Massimo, und dann mit lauter Stimme: »Guten Morgen, Dottore.«
»Morgen.«
Dr. Carli schloss die Tür hinter sich, die Okay offen gelassen hatte, grüßte in Richtung der vier Gesichter, die sich geflissentlich in ihre Zeitungen vertieften, ging zum Tresen und setzte sich auf einen Barhocker.
»Einen milden Aperitif, bitte.«
»Nein.«
»Wie bitte?«
»Nein, keinen Aperitif. Ein Aperitif vor dem Mittagessen, erst recht einer mit Alkohol auf nüchternen Magen, führt zu zeitweiliger geistiger Umnachtung. Anschließend mit benebeltem Kopf aus der klimatisierten Luft hinaus in die vierzig Grad auf dem Gehsteig, und Sie trifft der Schlag und
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