Im Schatten der Pineta
Zum Glück hatte sie nur darüber gelacht. Die Gäste jedenfalls schätzten ausnahmslos ihre Anwesenheit, auch wenn Francesca Ferrucci, die junge Frau vom Tabakladen gegenüber, moniert hatte, dass es zu dem Schauspiel, das den männlichen Gästen geboten wurde, hinter dem Tresen leider keine adäquate Entsprechung für das weibliche Publikum gebe. Massimo hatte sich daraufhin richtig hässlich gefühlt und der Ferrucci eine Zeit lang nur ungenießbaren Kaffee serviert.
»Danke, Tiziana, das wäre großartig. Im Moment bin ich zwar nicht besonders müde, aber morgen früh bin ich bestimmt froh, wenn ich mal ausschlafen kann. Gehst du heute nicht mehr mit Marchino aus?«
Damit war er in ein Fettnäpfchen getreten, was er daran merkte, dass Tiziana beim Fegen einen Zahn zulegte.
»Stimmt was nicht?«
»Einiges.«
»Das tut mir leid.«
»Nein, nein, ist schon in Ordnung. Die übliche Geschichte. Übrigens hätte ich beinahe was vergessen. Heute Nachmittag, als du weg warst, ist Okay dagewesen und hat nach dir gefragt. Er sagte, es ist wichtig und dass er morgen wiederkommt.«
Die »übliche Geschichte« war in der Tat die übliche Geschichte: Wie die meisten Frauen ab einem gewissen Alter bestand auch Tiziana darauf, zu heiraten. Marchino, Tizianas Galan, indes wechselte wie viele Männer seines Alters schnell das Thema, sobald sie darauf zu sprechen kam. Wenn einer von ihnen dann allzu sehr auf seinem Standpunkt beharrte, gab es Streit, und sie taten einen halben Tag lang so, als würden sie sich nicht kennen. Danach war alles wieder wie vorher.
»Okay? Komisch. Der lässt sich doch sonst nie blicken. Keine Ahnung, was der von mir will. Na ja, gute Nacht.«
»Nacht.«
Vier
Der Wecker. Ist das der Wecker? Ach du Scheiße! Na gut, ich steh ja schon auf. Also, wo sind meine Pantoffeln? Oh, ihr hübschen Pantöffelchen. Na ja. Du meine Güte, was hab ich wieder für einen Geschmack im Mund. Fühlt sich an, als hätt ich ein Kilo Staub gefressen. Als Erstes einen Kaffee. Nur gut, dass es Kaffee gibt. Das muss ein toller Typ gewesen sein, der den Kaffee erfunden hat. Bestimmt der Cousin von dem Genie, das das Bett erfunden hat. Den beiden gebührt der Nobelpreis, von wegen Dario Fo. Denen und dem, der Nutella erfunden hat. Und die Verleihung findet in der Kirche neben der Statue des heiligen Kaspar statt. Dann würde man wenigstens mal aufrichtige Verehrung erleben. Gut, gut, ab unter die Dusche und dann nichts wie los.
Hellwach nach der Dusche, öffnete Massimo die gläserne Eingangstür der Bar. Draußen an den Tischen waren weder Großvater Ampelio noch die anderen drei Musketiere zu sehen.
Dafür gab es nur eine Erklärung: Sie saßen drinnen. Und erwarteten ihn offensichtlich sehnsüchtig. Am Tisch neben ihnen saß, die Ellbogen auf die Kante gestützt, ein Mann, der ziemlich abgerissen wirkte. Bis auf die wenigen ihm verbliebenen Haare, die ihm bis auf die Schultern fielen, war er kahl. Er hatte einen langen Bart und trug trotz der Hitze eine wattierte schwarze Jacke und lange Hosen. Zu allem Unglück fehlten ihm an einer Hand – der rechten – vier Finger, genau gesagt alle bis auf den Daumen. In der linken Hand hielt er ein Espressotässchen, das er mit zweifelnder Miene musterte, als fragte er sich, ob es womöglich riskant sei, auf nüchternen Magen etwas anderes als Alkohol zu sich zu nehmen.
»Guten Morgen zusammen.«
»Na, endlich aus den Federn gekommen, Kind?«, begrüßte ihn Ampelio. »Wir warten schon seit zwei Stunden auf dich. Hast wohl Angst gehabt, dass man dir das Kissen klaut, und dich schön dran festgeklammert, was?«
»Guten Morgen, Okay. Man hat mir gesagt, du wolltest mich sprechen«, sagte Massimo, während er hinter den Tresen ging. »Was gibt’s denn so Wichtiges?«
Dass es wichtig war, verstand sich von selbst, dachte Massimo. Okay war ein dermaßen zurückhaltender Mensch, dass oft Tage vergingen, ehe er das Wort an jemanden richtete. Sohn eines Fischers und der Frau eines Fischers (auch Letzteres war ein Beruf, und zwar keiner, bei dem man eine ruhige Kugel schieben konnte), war Remo Carlini ein friedliebendes und neugieriges Kind gewesen, das seine ganze wache Zeit damit verbrachte, die Geheimnisse der Natur zu erkunden. Unzählige Fragen gingen dem Jungen im Kopf herum, etwa: »Wie viel Zeit braucht diese Eidechse wohl, um zu sterben, nachdem ich ihr den Kopf abgehackt hab?« »Warum landen Katzen nicht auf den Füßen, wenn man ihnen ein Gewicht am Schwanz befestigt
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