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Im Schatten der Pineta

Im Schatten der Pineta

Titel: Im Schatten der Pineta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Malvaldi
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an neu aufrollen. Mit den Freunden des Opfers sprechen, ihren letzten Tag rekonstruieren. Herausfinden, wo sie sich in der Zeitspanne aufhielt, in der sie von niemandem gesehen wurde. Nachforschungen anstellen, suchen und immer wieder fragen. Ein Patentrezept dafür gibt es leider nicht, fürchte ich.«
    »Entschuldigen Sie, aber was habe ich damit zu tun?«
    »Sie waren zugegen, als die Polizei die Leiche barg, aber in dieser Hinsicht« – der Anwalt lächelte – »haben Sie ja bereits Ihren Anteil an den Ermittlungen geleistet. Ich weiß jedoch, dass Sie mit der besten Freundin der Ermordeten befreundet sind. Ich meine Giada Messa, die Schwester des zuerst Verdächtigten.«
    »Das stimmt nicht ganz. Ich kenne sie, mehr nicht.«
    »Na gut, Sie kennen sie. Und Sie könnten diese Bekanntschaft nicht irgendwie ausnutzen, um an weitere Informationen zu gelangen?«
    »Kommt drauf an«, sagte Massimo, dem unwillkürlich die unterschiedlichen Bedeutungsvarianten des Wortes »ausnutzen« im Zusammenhang mit einer siebzehnjährigen Lolita im Kopf herumgingen.
    »Sehen Sie sich in der Lage, dieser Person und deren Bruder diskret gezielte Fragen zu stellen? Fragen, die ich Ihnen vorschlagen würde?«
    »Keine Ahnung. Ich glaub nicht, dass ich der Richtige für so was bin.«
    »Ach, Unsinn. Entschuldigen Sie, aber in solchen Fällen vertrauen sich die Menschen oftmals lieber einem Fremden an als Bekannten oder gar der Polizei. Ich glaube nicht, dass das Mädchen alles gesagt hat, was sie weiß, nachdem ihr Bruder verhaftet wurde. Außerdem haben Sie ihrem Bruder den Kopf aus der Schlinge gezogen. Ich glaube, dass Sie deswegen einen Vertrauensvorschuss bei den beiden haben. Auch der Bruder hat möglicherweise nützliche Informationen. Im Grunde müssen er und das Opfer sich an dem Abend, an dem sie umgebracht wurde, gesehen haben. Vielleicht hat auch er nicht alles gesagt, was er weiß. Sie könnten in dieser Hinsicht gewiss nützlich sein.«
    Massimo fühlte sich unwohl in seiner Haut. Einerseits war er neugierig, wie die Sache ausging. Andererseits bereitete ihm der Gedanke, sich abermals die Hände in diesem Schlamassel schmutzig zu machen, Unbehagen.
    »Entschuldigen Sie, Avvocato, aber ich will offen sprechen. Ich glaube, dass uns das nichts bringen würde. Jeder von uns hat seine Überzeugungen, seien sie nun falsch oder richtig. Aber ich bin nicht dafür geschaffen, andere Leute auszuhorchen. Sie zu irritieren, das schon. Sie zum Nachdenken zu bringen, hin und wieder auch. Aber sie zum Reden zu bringen und Verständnis zu heucheln, während sie mir ihre Lebensgeschichte anvertrauen, nein, dafür nicht. Damit habe ich ein Problem. Dazu fühle ich mich nicht in der Lage.«
    »Ich verstehe, aber bitte versuchen Sie, auch mich zu verstehen. Das ist die einzige Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass die Ermittlungen wiederaufgenommen werden.«
    An diesem Punkt ist es angebracht, etwas klarzustellen. Um es geradeheraus zu sagen, gab es circa zehntausend verschiedene Situationen, die dazu angetan waren, Massimo zu irritieren. Aber es gab etwas, was Massimo über alle Maßen irritierte, und zwar wenn er jemandem etwas ausschlug und erleben musste, wie der andere völlig unbeeindruckt darüber hinwegging und seelenruhig weiter versuchte, ihn umzustimmen, als wäre er ein kleines Kind von sechs Jahren. Alle, die das taten, ausnahmslos, vom Straßenverkäufer bis zu seiner Mutter, bekamen unweigerlich Massimos Reaktion zu spüren, der dann stets eine Stinkwut im Bauch hatte.
    »Ich habe mich wohl nicht klar genug ausgedrückt. Ich will das nicht tun. Und zwar will ich es deshalb nicht tun, weil ich nicht für das geschaffen bin, worum Sie mich bitten. Ich sage es Ihnen jetzt zum letzten Mal, denn ich habe nicht die Absicht, meine Meinung zu ändern. Also reiten Sie nicht weiter darauf herum.«
    »Aber Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen. Wir werden uns gemeinsam etwas überlegen. Wir müssen nur …«
    »Auf Wiedersehen.«
    Massimo stand auf und ging. Und ließ den anderen mit der Rechnung sitzen, jawohl. Der ist Anwalt, Geldsorgen wird der schon nicht haben, dachte er.

    Später, als Massimo schon im Bett lag, dachte er noch immer über den Abend nach. Vor allem über etwas Bestimmtes, was der Anwalt gesagt hatte. Er hatte ihn gebeten, Fragen zu stellen. Diskret Fragen zu stellen. Und das war nun etwas, was Massimo nicht so recht einleuchtete. Wenn der Anwalt ein Interesse daran hatte, dass die Akten zu dem Fall

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