Im Schatten der Tosca
friedlich umringt von afrikanischen Masken, herrlich ziselierten Lanzen, Eskimo-Arbeiten aus Tierhaut, mit Federn bestückt. Auf dem Boden, auf Sockeln und in Regalen standen Statuen, Skulpturen, Kultgegenstände. Auf den ersten Blick ein phantastischer Wirrwarr. Doch je öfter Mariana sich die Kunstwerke ansah, von denen sie bisher keine Ahnung gehabt hatte, desto stärker fühlte sie ihren inneren Zusammenhang.
Das Ehepaar im Parterre hatte offenbar Geld. Aber auch diese beiden Menschen entsprachen Marianas Vorstellung vom engstirnigen schwäbischen Spießer nicht. Die junge, fröhliche Frau malte federleichte Blumenbilder, zudem spielte sie Geige in einem Quartett, das sich einmal in der Woche in ihrer Wohnung traf.
Ihre Tochter, die kleine Katharina, klingelte kurz nach Marianas Einzug an der Türe und fragte ein wenig schüchtern:
»Darf ich reinkommen? Du singst so schön.«
Mariana war ganz gerührt, die Kleine setzte sich aufs Sofa, nein danke, sie wollte nichts essen, nichts trinken, sie wollte einfach nur zuhören. Beim übernächsten Mal brachte sie ihre Katze mit, die beiden rollten sich auf dem Sofa zusammen und gaben stundenlang keinen Mucks von sich, zwei stillzufriedene Zuhörer. Kurz darauf machte Mariana einen Gegenbesuch und war bald mit der ganzen Familie befreundet.
Katharinas Vater, ein Graphiker, gestaltete kostbare Bücher, entwickelte neue Schrifttypen und entwarf, fast wie zum Zeitvertreib, klarlinige, bestechend schlichte Gegenstände, Geschirr, kleine Möbel, Lampen. »Kleinvieh«, nannte Peter Kiderlen das. Er war schon damals ein bekannter Künstler, seine Schriftzüge wurden auf der ganzen Welt verwendet, das »Kleinvieh« wanderte bald in die wichtigsten Museen.
Diese Schwaben waren schon ein wunderliches Völkchen, wie Mariana immer wieder fand, zumindest die Bewohner ihres Viertels. Durch ihre Freunde im eigenen Haus lernte sie immer mehr von ihnen kennen. Hatten sich denn da nur Künstler angesiedelt? Nichts als Maler, Komponisten, Pianisten, Bildhauer, auch Philosophen und intellektuelle Kauze. Dazu noch auffallend viele Anthroposophen. Lauter Sonderlinge, eigensinnig, originell, ob Mann oder Frau.
Zu Silvester wurde die ›Fledermaus‹ gespielt, Mariana sang den Prinzen Orlofsky. In ihrem eleganten Frack sah sie entzückend aus. Nicht nur die Männer, auch Frauen schwärmtenfür sie, ihre Garderobe glich manchmal einem Blumenladen. Bis dahin hatte sie gelegentlich ein paar freundliche Zeilen bekommen, jetzt erhielt sie stapelweise Verehrerbriefe und auch Päckchen. Der Postbote tat Mariana leid, aber er ließ es sich nicht nehmen, ihr alles eigenhändig hochzutragen in den dritten Stock. Ein Opernbesessener auch er.
Ein Autogramm von ihr rahmte er ein und hängte es übers Sofa, wie er ihr stolz erzählte. Als sie ihm Opernkarten schenkte, geriet er vor Glück so aus dem Häuschen, dass Mariana ihm zur Stärkung ein Gläschen Wodka einschenkte. »Das hilft in allen Lebenslagen«, hatte ihr Vater gesagt, darum hatte sie auch immer eine Vorratsflasche im Haus.
Die Päckchen enthielten die fürsorglichsten Geschenke. Amulette, Heiligenbilder, Halstabletten, große und kleine Kerzen, getrocknete Kräuter, Blumen und Blätter für Aufgüsse, genähte, gestrickte, gehäkelte Schals aus Wolle und Seide, Bettflaschen, Hausschuhe, Murmeltierfett, Marmelade, häufig mit ausführlichen Gebrauchsanweisungen versehen. Das originellste Geschenk war ein Spätzlehobel samt Rezept, der nötigen Menge Mehl, Salz und drei dick in Holzwolle verpackten Eiern. Ein schicksalhaftes Geschenk.
Ein paar Tage später ging Mariana einen Stock tiefer auf eine Einladung von Rainer und Lilli. Sie hatte einen langen Probentag hinter sich und fühlte sich ein wenig schlapp, aber zugleich auch aufgekratzt, und das eine Stockwerk würde sie schon noch schaffen. Drunten herrschte ein fürchterliches Gewühl, die Leute drängten sich zwischen den Skulpturen, Mariana erschien es immer wieder ein Wunder, dass nie etwas passierte. Irgendjemand drückte ihr ein Glas Wein in die Hand. Sie lachte und plauderte, eigentlich hatte sie Hunger, aber der Weg zur Küche war erst einmal verstopft. Bald hatte Mariana einen Schwips.
»Stellen Sie sich vor, was ich geschenkt bekommen habe«, sagte sie und erzählte von ihrem Spätzlehobel.
»Spätzle, das ist doch kinderleicht, mein Dienstmädchenmacht die mit links«, bemerkte eine Dame etwas herablassend.
»Ich habe kein Dienstmädchen«, antwortete Mariana.
»Das
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