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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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dabei nicht unterdrücken. Bei dem Familienleben, das Ferdinand so genoss, hatte er eindeutig den besseren Part inne, stellte Elia fest. Es war ihr aufgefallen, wie blass und müde Friederike hier angekommen war, kein Wunder, nachdem sie wochenlang als Krankenpflegerin im Haus festgenagelt gewesen war, denn Frieda hatte auch noch Scharlach bekommen. Jetzt blühte sie sichtlich auf, denn sosehr sie ihre Kinder liebte, genoss sie es doch, einmal etwas anderes als nur Kindergeplapper zu hören. Auch auf Stockholm war sie neugierig, anders als Ferdinand, der sich aus fremden Städten wenig machte und die Reiserei als notwendiges Übel empfand, das der Beruf mit sich brachte. »Ja, soist das bei uns, ich hab Fernweh und bleibe zu Hause, und Ferdinand, der Stubenhocker, reist ächzend in der Weltgeschichte herum. Aber anschließend gehen wir alle vier nach Wien, für einen Monat, ist das nicht phantastisch?«, freute sich Friederike. Sie fand es herrlich, in der Stadt herumzustromern, allein oder mit den Kindern, manchmal kamen auch Birgit oder Julia mit, sie gingen ins Museum, in den Zoo oder auch zum Schlittschuhlaufen. Für Ferdinand hatten schon die Vorstellungen der ›Bohème‹ angefangen. Aber zum Abschluss war eine gemeinsame Schlittenfahrt geplant.
    Zu guter Letzt fand sie aber ohne Ferdinand und Elia statt. Denn plötzlich stellten sich bei dem Livemitschnitt der ›Traviata‹ tontechnische Mängel heraus, die es schleunigst zu beheben galt, solange Ferdinand noch da war. Das lief darauf hinaus, dass Ferdinand und Elia an den letzten Abenden als Mimi und Rodolpho auf der Bühne standen und an den Tagen ein paar Stunden im Aufnahmestudio als Violetta und Alfredo verbrachten. Am letzten Tag dann, während die Familie mit dem Pferdeschlitten übers Land fuhr, waren die Fehler glücklich behoben. »Das nenn ich ein Timing«, schnaufte Ferdinand und ließ sich auf einen Stuhl fallen, das war sogar ihm an die Nieren gegangen. Zum ersten Mal hatte man ihn vor den Vorstellungen um sein heiliges Mittagsschläfchen gebracht.
    Am nächsten Tag wurden er und die Seinen im großen Konvoi zum Flugplatz begleitet, ja sogar bis vor das Flugzeug, wie es sich für einen prominenten Reisegast gehörte. Alle küssten und umarmten sich und lachten und schwatzten durcheinander. Elia und Ferdinand standen ein wenig abseits, sie waren viele Wochen zusammen gewesen, jetzt kam es ihnen plötzlich so vor, als müssten sie sich noch alles Mögliche sagen, aber dann brachten sie doch nur das übliche Abschiedsgerede heraus.
    Schließlich fiel Elia Ferdinand schluchzend um den Hals: »Jetzt bin ich ganz allein, alle verlasst ihr mich, erst Carlos und dann du!«
    Ferdinand klopfte ihr ungeschickt auf den Rücken: »Komm, komm, du hast doch noch Ture, jetzt gleich bei eurem ›Don Giovanni‹, und diesmal muss er ins Gras beißen, und du darfst endlich mal am Leben bleiben.«
    Ferdinand ging als Letzter die Gangway hoch, unter der Flugzeugtür drehte er sich noch einmal um, er winkte den Zurückbleibenden zu und schaute dabei Elia an.

    Nach ihrer ersten ›Bohème‹ im vergangenen Jahr war Elia in das berühmte schwarze Loch gefallen. Sollte ihr das nun wieder passieren? Sie hatte sich wohl übernommen, zu viel gearbeitet, zu viel erlebt in der letzten Zeit, und womöglich brütete sie auch noch eine Erkältung aus, alles tat ihr weh, die Glieder, die Seele, der Kopf. Sie kroch ins Bett und schlief und schlief, danach fühlte sich ihr Körper wieder einigermaßen munter an, doch in ihrer Seele herrschte immer noch Katzenjammer.
    Sie ging hinüber zu Birgit, die ließ auch den Kopf hängen, so hatte Elia sie noch nie erlebt: »Ach, das Haus ist so leer.«
    Auch bei Julia, von der sie sich aufmuntern lassen wollte, war gerade die Euphorie am Zusammensinken. »Wenn das nicht gemein ist, kaum wäre ich mal froh, wenn ich nichts zu tun hätte und in aller Seelenruhe nach Rom fahren könnte, und schon schmeißt man mir die schönsten Rollen nach, Fräulein Julie, Hedda Gabler, auch bei Tschechow und Shakespeare geht es nicht ohne mich. Und Umberto kann nicht schon wieder sein Lokal im Stich lassen, ganz wie du es prophezeit hast, du alte Schwarzseherin.«
    Die beiden Freundinnen beschlossen, für ein paar Tage auf das Landgut von Julias Eltern zu fahren, und siehe da, die Stille, die köstliche Luft, das weiße Glitzern und Funkeln erheiterten die Mädchen, zumal sie die allzu gesunde Lebensweise durch reichlich Wein, gutes Essen und bis tief in

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