Im Schatten der Tosca
sollen!«
»Du kannst daran sehen, wie brav und vernünftig ich bin. Birgit, Ferdinand und ich essen meistens früh am Abend zusammen, dann spielen wir noch eine Runde Skat, und dann gehe ich mit den Hühnern ins Bett und schlafe acht Stunden«, sagte Elia lachend. Eigentlich war es schon bedenklich, wie gut Elia dieser biedere Lebenswandel bekam, zumindest, solange sie hart arbeiten musste. Wenn sie ganz ehrlich sein sollte: An der Seite von Carlos hätte sie die strapaziösen ›Traviata‹- Wochen womöglich nicht so gut durchgestanden. Doch das sagte sie Carlos nicht. Und es schloss auch nicht aus, dass sie sich oft, sehr oft, wahnsinnig nach ihm sehnte.
Carlos kam erst zur letzten ›Traviata‹- Vorstellung, und auch dafür hatte es der tollsten Verrenkungen bedurft. Nach dem letzten Ton als Duca in Barcelona war er im Nachtzug nach Madrid gefahren, von dort mit dem Flieger nach Paris, London, Stockholm. Doch um Elia als Violetta zu sehen, hätte er noch mehr Ungemach in Kauf genommen. Und auf Ferdinand war er auch neugierig.
Zum ersten Mal erlebte er Elia aus der Zuschauerperspektive. Je weiter Violettas trauriges Schicksal seinen Lauf nahm, desto gerührter wurde Carlos. Gegen Schluss, als Violetta Alfredos Brief las, kamen ihm die Tränen. »Das mir als abgebrühtem alten Zirkusgaul«, versuchte er sich anschließend bei Björn zu entschuldigen, neben dem er in der Loge saß.
Doch der war selbst ganz benommen: »Ich höre es ja nun zum zigsten Mal, aber wie Elia das macht, dieses halb Gesprochene, halb Gesungene, und dann ihr verzweifelter Ausbruch: ›Zu spät . . .‹ Und dann wieder ist sie wie schon von einer anderenWelt, ach überhaupt, und die Musik ist gar zu traurig, ja, das ist wirklich große Kunst . . .«
Sie schwiegen beide. Meine Elia, dachte Carlos. Er kannte viele Seiten von ihr, das Scheue, Zurückhaltende, wie bei einem Tier, das auch erst auf der Hut bleibt, bevor es Zutrauen fasst, dazu ihre kindische, lustige, alberne Seite, ihre Leidenschaftlichkeit und Wildheit, und alles war natürlich, ungekünstelt. Und dann stand sie auf der Bühne und verleibte sich Eigenschaften ihrer Figuren ein, die nicht die ihren waren, oder doch? Auch? Sie wusste, wie sich das anfühlte, als erstarrte, einsame Königin, als lebensgierige, gehetzte Kokotte, als innige oder verzweifelte Liebende. Sie verwandelte den eigenen Körper in den Körper dieser Frauen, ihre Stimme wurde zu deren Stimme. Diese merkwürdige Stimme, die engelszart klingen konnte, lockend verführerisch und hart und rau, manchmal geradezu beängstigend – raubtierhaft.
Er nahm Elia in die Arme, eine Weile sagten sie beide nichts. Dann hielt er sie auf Armeslänge von sich weg und musterte sie, abschätzend-machohaft wie ein Provinztheaterverführer.
»Mein schönes Fräulein, wenn ich Sie heute zum ersten Mal gesehen hätte, ich würde mich nicht an Sie rantrauen.«
Elia ging auf seinen Ton ein: »Na, dann hab ich ja noch mal Glück gehabt.« Sie kannte Carlos inzwischen gut genug, um zu merken, wie verwirrt und gerührt er war.
Beim anschließenden Essen lernten sich Carlos und Ferdinand endlich kennen. Erst einmal beschnüffelten sich die beiden Sängerkollegen wie zwei vornehme Hunde, dann beschlossen sie, sich sympathisch zu finden. Sie sangen zwar im gleichen Fach, mussten aber keine Konkurrenz vom anderen befürchten, jeder hatte bereits sein Terrain für sich abgesteckt und besaß seine eigene, treue Anhängerschar. Da ließen sich kleine Abstecher in fremde Gefilde verschmerzen, und der eine würde zu guter Letzt doch bei seinem Mozart bleiben und der andere bei seinem Verdi. Elia, das war ein anderes Kapitel.
Carlos hatte zwar ein Hotelzimmer genommen, aber viel Gebrauch machte er nicht davon, Elias Wohnung war gemütlicher. Draußen war es strahlend schön, aber eiskalt, nichts für empfindliche Sänger, zumal wenn sie aus dem Süden stammten, so dass es sie, wenn sie einmal die Nase ins Freie streckten, bald wieder zurück ins Warme trieb.
Schnell wie ein Traum gingen die glücklichen Tage ihrem Ende zu, gerade dass es dazu reichte, die Südamerikatournee, die Carlos so am Herzen lag, und ein paar weitere Projekte zu besprechen. Mariana hatte Elia bekniet, unbedingt Björn um seinen Rat zu bitten, aus Angst, Elia könnte sich liebesblind die kommenden Jahre total verplanen. Es stand fest, dass Carlos und Elia weiter zusammen arbeiten wollten und auch sollten, und auch gegen die Tournee hatte Björn nichts
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