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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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Hungerleider als Liebhaber, sie wollte heraus aus dem Kleinbürgermief, der nicht zu ihr passte. Dafür setzte sie das einzige Kapital ein, das sie besaß:ihre Schönheit und ihre Intelligenz. Und da sie durch die rigide Gesellschaftsordnung der damaligen Zeit unmöglich aufsteigen konnte in die sogenannten besseren Kreise, landete sie zwangsläufig in der Demimonde. Dort führte sie ein aufwendiges, brillantes Luxusleben, das ihre reichen Verehrer bezahlten, natürlich nicht ohne Gegenleistung, und ließ sich von einem Vergnügen zum anderen treiben, hektisch, voller Lebensgier.
    Diese Jagd nach dem Glück hatte etwas Verzweifeltes, Gespenstisches. Das äußerte sich weniger in den Worten als vielmehr in der Musik, in der von Anfang an Melancholie, Sehnsucht nach Liebe und Todesangst mitschwangen. Aber Violetta war sich dieser Gefühle nicht bewusst oder sie verdrängte sie sofort wieder, auch Alfredo gegenüber pries sie zunächst den Genuss, die Freuden ihres rastlosen Lebens, wenngleich in merkwürdig exaltierten, fast schon hysterischen Koloraturen und Spitzentönen, die das Artifizielle dieser Leichtigkeit widerspiegelten.
    Doch als Violetta merkte, wie sehr Alfredos Worte sie berührt hatten, war sie selbst überrascht:
»È strano! È strano!«
Eine echte Liebe passte überhaupt nicht in ihr Lebenskonzept, würde alles durcheinanderbringen, was sie sich kühlen Kopfes aufgebaut hatte. Wahrscheinlich, so überlegte sich Elia, war es gar nicht so sehr Alfredos Liebesgeständnis, das Violetta zu Herzen ging, sondern seine Fürsorge, er würde sie pflegen, sich um sie kümmern, um sie, ein einsames Mädchen im Schmelztiegel Paris. Auf einen solchen Gedanken war noch keiner ihrer Liebhaber gekommen, sie zahlten und basta.
    Zudem besaß Violetta Sinn für Qualität und kannte die Männer. Sie merkte dem bescheidenen, naiven Alfredo seine Liebesfähigkeit an. Und noch etwas wirkte sich gewissermaßen als »Beschleuniger« aus: Violettas Krankheit. Obwohl sie nicht wirklich wusste, wie krank sie bereits war, spürte sie doch instinktiv, dass sie nicht mehr viel Zeit vor sich hatte. So siegte schließlich ihre Sehnsucht, liebend geliebt zu werden,über ihre Vergnügungssucht. Sie entschloss sich, das Risiko einzugehen, für die Liebe mit Alfredo ihr Luxusleben und die Sicherheit aufzugeben. Welch ein Seelendrama. Innerhalb eines üppigen Opernrahmens mit hektischen Ensembleszenen spielte sich ein kammermusikalisch zartes Charakterstück ab, wo es um das Schicksal der Traviata, eines »vom Weg abgekommenen Mädchens«, ging.
    Sven Aarquist, dem Regisseur, schwebte ein Sittengemälde vor, in dem jedes Detail stimmen sollte: die Art, wie sich die Menschen bewegten, die Möbel, die Kostüme. Es war ein Glück, dass die Sänger, auch Elia, seine pingelige, psychologisch durchdachte und genau auf die Musik abgestimmte Arbeitsweise kannten und damit zurechtkamen.
    Ture, als Vater Germont, hatte eher den Typus des bürgerlichen Ehrenmannes zu verkörpern, da entwickelte sich im Laufe der Handlung vieles von selbst. Am Alfredo mäkelte er schon mehr herum, aber grundsätzlich passte ihm das Treuherzige, etwas Linkische, das bei Ferdinand immer wieder durchschimmerte, ins Konzept. Doch bei den Damen erwies er sich als gnadenlos, besonders bei Elia: »Wie trampelt ihr herum, ihr seid keine Nutten von der Kungsgataan, ihr seid elegante Pariserinnen, Halbweltdamen von mir aus, aber ihr haltet Hof wie die Herzoginnen in pompösen Stadtpalästen, also etwas mehr Allüre, wenn ich bitten darf.« Leni Miller, die Sängerin der Flora, nannte ihn bald nur noch »Sven, den Damenschinder«, aber Elia war über seine Ratschläge froh, vor allem im zweiten Akt, wo sie zunächst Schwierigkeiten hatte mit Violettas allzu großem Edelmut. Konnte nicht bei Violettas engelszarter Entsagung auch ein Hauch von süßer Selbsttäuschung mitschwingen? Elia wollte es ausprobieren. Ansonsten musste ein allzu lieblicher Ton bei der Violetta vermieden werden, nur nicht auf die Tränendrüsen drücken, so fanden alle.
    Trotz des Anspruchs ihrer Rolle fühlte sich Elia weniger angespannt als beim ›Don Carlos‹. Da war sie vor Erschöpfungnach dem ersten Akt fast zusammengeklappt. Jetzt genoss sie ihre probenfreien Tage vergnügt und locker. Je nach Lust und Laune gammelte sie herum oder schaute sogar kurz bei den Proben vorbei. Carlos, der sie gelegentlich anrief, wurde ganz eifersüchtig, als er das hörte: »Darum hätte ich dich mal bitten

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