Im Schatten der Vergeltung
Mal gesehen hatte. Damals hatten sie sich geschworen, eines Tages zu heiraten. Dann war er mit seiner Mutter aus Cornwall fortgegangen und hatte nicht mehr an Frederica gedacht, denn sein neues Leben war aufregend und spannend gewesen. Allerdings hatte er sie vorhin sofort wiedererkannt, obwohl aus dem rothaarigen Mädchen mit den zahlreichen Sommersprossen eine wunderschöne junge Frau geworden war. Er griff nach Fredericas Hand, die zu überrascht war, sie ihm zu entziehen, und hauchte einen Kuss auf ihre Fingerspitzen.
»Du scheinst deinen Freund aus Kindertagen tatsächlich vergessen zu haben.« Das Lächeln in seinen Augenwinkeln strafte seine vorwurfsvollen Worten Lügen. »Ich bin es – Cedric! Cedric Stokes. Meine Mutter und ich lebten in unmittelbarer Nachbarschaft zu Trenance Cove.«
Frederica blinzelte ungläubig mit den Augen. »Cedric?«
Die Witwe Stokes! Tatsächlich, jetzt erinnerte sie sich! Das kleine, aber immer saubere und gepflegte Häuschen, direkt an der Straße nach Liskeard. Cedrics Vater war Pfarrer gewesen und gestorben, als er noch ein kleiner Junge war. Frederica hatte ihn nie kennengelernt. Cedrics Mutter war eine elegante Erscheinung, der junge Cedric ein wilder, aber liebenswerter Bursche gewesen, mit dem sie durch die Wälder gestreift, am Strand Muscheln gesammelt und auf Bäume geklettert war. Es hatte ihn auch nie gestört, seine Zeit mit einem acht Jahre jüngeren Mädchen zu verbringen.
»Cedric«, wiederholte sie. »Ich hätte dich niemals wiedererkannt. Wieso bist du jetzt ein Lord und lebst auf Bracken Hall?«
»Du wirst dich nicht mehr erinnern, aber vor zehn Jahren verließen wir Cornwall, weil meine Mutter zu ihrer kranken Schwester ging, um diese zu pflegen. Dort lernte sie Lord Collingford kennen und lieben, und der Lord zögerte keinen Moment, eine Pfarrerswitwe mit Kind zu seiner Gemahlin zu machen. Standesdünkel und Überheblichkeit waren ihm fremd. Da er kinderlos war, adoptierte er mich und hinterließ mir bei seinem Tod, der leider vor zwei Jahren viel zu früh eintrat, seinen Besitz und den Titel.«
Verwirrt schüttelte Frederica den Kopf. Mein Gott, sie hatte jahrelang nicht mehr an den Freund aus Kindertagen gedacht. Warum flatterte ihr Herz jetzt wie ein aufgescheuchter Vogel in ihrer Brust? War das die Freude über ihr unverhofftes Wiedersehen?
»Aber warum bist du jetzt wieder hier?«
Er lachte. Das tiefe Timbre seiner Stimme jagte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken.
»Ein weit entfernter Verwandter meines Stiefvaters bewohnte den Landsitz Bracken Hall. Er starb ohne Erben und so fiel das Gut an mich. Zuerst war ich über die unerwartete Erbschaft nicht sehr erfreut, und ich dachte daran, Bracken Hall so bald wie möglich zu verkaufen, da ich mich ja um meine Besitztümer in den Cotswolds kümmern muss. Ich entschloss mich jedoch dazu, mir Bracken Hall erst einmal selbst anzusehen. Bei den obligatorischen Nachbarschaftsbesuchen wurde ich von den Linnleys und den Marchs dermaßen in Beschlag genommen, dass es mir bisher nicht möglich war, euch meine Aufwartung zu machen. Ich wusste jedoch, dass du und dein Vater bei der heutigen Hochzeit unter den Gästen sein würdet. Obwohl ich zuerst nicht die geringste Lust hatte, an dieser Festivität teilzunehmen, bin ich jetzt froh, gekommen zu sein. Sehr froh!«
Bei seinen letzten Worten sah er Frederica tief in die Augen, und eine heiße Welle, die ihre Wangen tiefrot färbte, schoss ihr ins Gesicht. Schnell wandte sie den Kopf ab, aber es war zu spät, er hatte ihre Erregung bemerkt.
»Erinnerst du dich daran, dass wir so gut wie verlobt sind, Frederica? Damals im Moor bei dem keltischen Kreuz hatten wir uns geschworen, eines Tages zu heiraten.«
»Hm ... Ich erinnere mich ...« Frederica wagte nicht, aufzusehen. Zu viel würden ihre Augen verraten. Unwillkürlich verglich sie Cedric mit George. Zu ihrem Erstaunen fiel der Vergleich für George recht kläglich aus. Cedric Collingford war ein Mann, ein richtiger Mann! Mit so markanten Gesichtszügen, dass man sie schon nicht mehr schön nennen konnte, gerade deswegen aber interessant. Nie zuvor hatte sie so grüne Augen gesehen, in denen kleine, goldene Sprenkel funkelten. Sie waren wie ein See, auf dessen Grund verlockendes Gold glänzte, und Frederica hätte nichts dagegen, hineinzuspringen und sich darin zu verlieren. Cedric trug keine Perücke, was bei seinem vollen, schwarzen Haar auch eine Schande gewesen wäre. Plötzlich verspürte
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