Im Schatten der Vergeltung
Landadlige und die damit verbundene finanzielle Sicherheit hatte Maureen niemals ausgenutzt. Nach außen hin führte sie das Haus mit einer Perfektion, als sei sie dafür erzogen worden, in ihrem Herzen war sie aber immer das kleine, wilde Mädchen aus dem schottischen Hochland geblieben, in das er sich einst verliebt hatte.
Trenance Cove hatte sich verändert, seit Maureen nicht mehr hier war. Philipp erinnerte sich an die liebevollen Blumenarrangements in allen Räumen: Im Frühjahr Flieder, im Sommer Rosen und Hortensien und im Herbst Astern. Sorgsam hatte Maureen jeden einzelnen Stängel, jede Blüte selbst im Garten ausgesucht und die Gebinde zusammengestellt. Jetzt kümmerte sich das Mädchen Nellie zwar darum, dass in der Halle immer ein Strauß frischer Blumen stand, das war aber nicht das Gleiche. Maureen hatte es mit dem Herzen getan, Nellie, weil es ihre Pflicht war.
Erst als die Uhr auf dem Kaminsims die zwölfte Stunde schlug, merkte Philipp, wie müde er war, trotzdem lag eine weitere schlaflose Nacht vor ihm. Eine Nacht, in der er sich unruhig von einer Seite auf die andere wälzen und an Maureen denken würde.
Plötzlich schlug er mit der Faust wütend auf den Tisch.
»Verdammt, warum hast du uns allein gelassen?«
In seinem hilflosen Zorn auf sich selbst und voller Bitterkeit gab er Maureen für etwas die Schuld, dass er, nur er allein, zu verantworten hatte. Philipp wusste, nicht der Tisch, sondern er selbst hätte den Schlag verdient. Nie zuvor hatte er einen anderen Menschen aus purem Egoismus derart verletzt. Er hatte sich kleinlich und wie ein dummer, grüner Junge verhalten und dadurch seine Familie zerstört. Philipp war sicher: Selbst wenn er auf Knien vor Maureen liegen würde, würde sie ihm sein Verhalten niemals verzeihen und an seine Seite zurückkehren können.
14. Kapitel
London, Dezember 1781
W ohlig räkelte Maureen sich. Die kühle Seide der Bettdeckte streifte ihre nackte Haut, und Maureen dachte, wie angenehm es war, wieder von schönen und edlen Stoffen umgeben zu sein. Durch die noch zugezogenen Bettvorhänge hörte sie, wie die Tür geöffnet wurde. Gleich darauf wurden die Vorhänge zur Seite geschoben, und eine hagere, wenig reizvolle junge Frau sah sie an.
»Mylady sind schon wach?«
Langsam setzte Maureen sich auf, damit die Zofe das mitgebrachte Tablett im Bett abstellen konnte. Bei dem Geruch nach süßem Kakao und dem Anblick der goldgelben Butter, die auf dem noch warmen Weißbrot glänzte, lief Maureen das Wasser im Mund zusammen. Während sie zur Tasse griff, öffnete Monja die Fenstervorhänge. Strahlender Sonnenschein erhellte den Raum.
»Ein wunderschöner Tag heute. Es ist zwar kalt, aber am Himmel zeigt sich keine Wolke.«
Maureen nahm einen Schluck Kakao und bat: »Lege mir bitte das dunkelblaue Kleid mit dem safranfarbenen Muff bereit. Lady Bennett erwartet mich zum Lunch.«
Monja knickste und nahm die Kleider, die Maureen am gestrigen Abend achtlos über einen Stuhl geworfen hatte, auf den Arm, um sie zu reinigen und eventuell auszubessern. Manchmal kehrte Maureen so spät von einer Einladung zurück, dass die Zofe bereits zu Bett gegangen war und verzichtete darauf, diese zu wecken. Ein missbilligender Ausdruck huschte über Monjas Gesicht. Mylady war eine wirkliche Dame, und sie hatte zuvor bei weit weniger vornehmen Frauen gedient. Es konnte einfach nicht angehen, dass sie sich selbst an- und entkleidete! Sie beschloss in Zukunft auf ihre Herrin zu warten, gleichgültig, wie spät es werden würde.
Monja, das neunte Kind einer einfachen Londoner Gerberfamilie, hatte in jungen Jahren bereits gelernt, was es heißt, für sein tägliches Brot hart zu arbeiten. Kaum dass sie laufen konnte, hatte sie tagaus, tagein fettige, stinkende Tierhäute mit einem borstigen Schaber von schwabbelnden Fleischresten befreien müssen, die dann achtlos in den Fluss Fleet geworfen wurden. Besonders in warmen Sommermonaten war ihr kleines Haus, in dem sie sich mit allen Geschwistern eine winzige Dachkammer teilte, von ekligen, krankheitserregenden Gerüchen erfüllt. Monja fasste schon früh den Entschluss, diese Umgebung eines Tages zu verlassen und in herrschaftlichen Häusern zu dienen. Zufällig fand sie mit vierzehn Jahren eine Anstellung als Küchengehilfin und schloss Freundschaft mit einer Zofe, die ihr alles über Kleider, Schminke und Frisuren beibrachte. Als ihre Freundin heiratete und London verließ, erhielt Monja die Chance, deren Platz einzunehmen.
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