Im Schatten der Vergeltung
weitgereister Mann.«
»Hm ...«, brummte der als Lord Collingford Angesprochene, und der Blick, mit dem er Frederica von oben bis unten musterte, ließ alles vermuten, nur nicht, dass er an einen Gespräch über Hauptstädte interessiert sei. So leicht gab Pamela allerdings nicht auf.
»Stellt Euch vor, Miss Trenance war noch niemals in London! Ist das nicht schrecklich? Also, ich liebe diese Stadt! Und Ihr, Mylord?«
Räuspernd wandte Collingford sich ihr zu. »Lady Pamela, wie schön Ihr heute ausseht! Ich bin extra gekommen, um Euch meine Glückwünsche persönlich zu überbringen. George Linnley darf sich glücklich schätzen.«
Frederica rollte über dieses eindeutig zu dick aufgetragene Kompliment in komischer Verzweiflung die Augen. Pamela schien es nicht zu bemerken, sie war versessen darauf, Lord Collingford in ein Gespräch zu verwickeln. Sie plapperte munter weiter: »Mylord, sicher habt Ihr schon viele Hauptstädte besucht, nicht wahr? Bitte, Ihr müsst mir davon erzählen! Mein Gatte und ich werden hoffentlich bald auf Reisen gehen können, und ich bin ja schon so gespannt auf das Festland und die fremden Kulturen, die uns dort erwarten.«
Frederica unterdrückte ein Kichern, das ihr aber gründlich misslang, als sie in die Augen des Fremden schaute, in denen ebenfalls ein Lächeln tanzte. Er verbeugte sich jedoch voller Ernst vor Pamela und sagte ernst: »Wenn Ihr erlaubt, Lady Pamela, setzen wir unser unterhaltsames Gespräch später fort. Sir Trenance schickte mich aus, seine Tochter zu suchen. Ich möchte ihn nicht warten lassen.«
Damit griff er unter Fredericas rechten Arm und zog sie mit sich. Froh, endlich der Gesellschaft der neuen Lady Linnley entkommen zu sein, ließ sie es willenlos geschehen. Von der Seite musterte Frederica interessiert den Mann, dem sie nie zuvor begegnet war. Er war groß, viel größer als ihr Vater, der ihr bisher als größter Mann der Welt erschienen war. Allerdings verfügte er über keine solch edlen Gesichtszüge wie George Linnley. Lord Collingford hatte Pamela ihn genannt. Es musste sich wohl um einen Bekannten der Familie March handeln. Frederica bemerkte erst, als sie die Bibliothek betraten, dass sie mit dem Mann allein war. Mit einem Ruck löste sie ihren Arm aus seinem Griff.
»Wo ist mein Vater? Solltet Ihr mich nicht zu ihm bringen?«
Seine Augen blinzelten verschmitzt.
»Verzeih mir diese kleine Schwindelei, Frederica, aber ich hatte den Eindruck, du würdest gerne dem Einflussbereich der glücklichen Braut entfliehen.«
Scharf zog Frederica die Luft ein. Was erlaubte er sich, sie einfach zu duzen? Er hatte es nicht mal für nötig befunden, sich ihr vorzustellen. Nur nebenbei hatte sie erfahren, dass sein Name Collingford war. Gut, er hatte die Situation richtig erkannt und gehandelt, das war aber noch lange kein Grund, sich ihr gegenüber so vertraulich zu benehmen.
»Ich suche meinen Vater selbst«, gab sie spitz zurück. »Wir wollten sowieso aufbrechen.«
»Ihr seid noch in Trauer, ja?«, fragte er zu Fredericas Überraschung.
Langsam drängte sie sich an seiner schlanken, dennoch beeindruckenden Gestalt vorbei zur Tür.
»Ja, jetzt muss ich aber gehen.«
Obwohl Collingford eine gewisse Faszination ausstrahlte und die Situation, mit einem attraktiven fremden Mann allein in einem Raum zu sein, Frederica belebte wie lange nichts mehr, war sie sich der Unschicklichkeit ihres Verhaltens bewusst.
»Frederica, kann es sein, dass du mich nicht mehr erkennst?« Mit einem Schritt war er an wieder ihrer Seite und berührte sie am Arm. Eine Geste, die Frederica alles andere als unangenehm war, wie sie befremdet feststellte. »Kein Wunder, wir haben uns ja auch über zehn Jahre nicht mehr gesehen.« In Fredericas Kopf arbeitete es fieberhaft. Zehn Jahre! Du meine Güte, damals war sie noch ein kleines Kind gewesen. Er sah ihre Verwunderung und fuhr fort: »Dann möchte ich mich offiziell vorstellen: Cedric Collingford, seit vier Wochen Besitzer von Bracken Hall und somit wieder dein Nachbar.«
»Sehr erfreut ...« Frederica zögerte. Sicher, sie hatte davon gehört, dass der alte Herr, der das Landgut Bracken Hall im vergangenen Jahr erworben hatte, überraschend gestorben war. Der Besitz war an irgendeinen entfernten Großneffen gegangen. Der Name Collingford brachte in ihrer Erinnerung aber keine Saite zum Klingen.
Cedric Collingford bemerkte ihre Verwirrung und lächelte. Tatsächlich war Frederica ein Kind gewesen, als er sie das letzte
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