Im Schatten der Vergeltung
könnte sie sich zu Hause im Bett vergraben und ihren Tränen freien Lauf lassen.
T atsächlich merkte man Frederica die starke innere Zerrissenheit nicht an, als sie zu Pamela Linnley trat und sie freundschaftlich umarmte. Leicht hauchte sie einen Kuss auf die eiskalte Wange der jungen Braut.
»Meinen herzlichen Glückwunsch.«
»Frederica! Ich darf dich doch so nennen, nicht wahr? Leider sind wir uns erst einmal begegnet, dabei hat George mir schon so viel von dir erzählt.«
Frederica verzog die Lippen zu einem gequälten Lächeln und dachte: Na, da wäre ich aber gespannt, was er zu erzählen hatte. Ob er dir wohl gesagt hat, dass er mich beinahe geküsst hätte? Stattdessen sagte sie unverbindlich: »Unsere Familien sind in guter Nachbarschaft miteinander verbunden. Ich kenne George seit meiner Kindheit und habe in ihm immer den großen Bruder, den ich selbst nicht habe, gesehen.«
Die Lüge ging ihr leicht über die Lippen. Nur gut, dass sich George außer Hörweite befand, denn er würde mit einem Blick in Fredericas Gesicht ihre wahren Gefühle erkennen. Pamela Linnley hingegen blieb arglos. Sie nahm Fredericas Hand und drückte sie.
»Es ist alles noch so neu für mich hier in Cornwall. Wir müssen uns oft treffen, und du musst mir erzählen, wie die Gesellschaft hier ist. Ich bin überzeugt, wir werden rasch Freundinnen.«
Sicher nicht, dachte Frederica grimmig, lächelte aber unverbindlich.
»Die Familie Linnley ist in Trenance Cove jederzeit willkommen«, antworte sie höflich, aber eine Spur zu kühl, um freundschaftlich zu klingen. Sie wandte sich ab, um ihre Pflichtgratulation gegenüber dem Bräutigam zu absolvieren, der im Moment von zwei älteren Damen belagert wurde. Pamela schien jedoch auf ein Gespräch mit ihr regelrecht versessen zu sein. Ungeniert griff sie nach Fredericas Ärmel, so war sie gezwungen, sich wieder der Braut zuzuwenden.
»Wir werden euch ganz bestimmt bald besuchen. Da dich George wie eine Schwester liebt, empfinde ich ebenfalls schwesterliche Gefühle für dich.«
Sie kicherte und wedelte mit dem Fächer vor ihrem Gesicht auf und ab. Frederica hoffte, ihrem Redefluss entrinnen zu können. So leicht wollte Pamela sie allerdings nicht gehen lassen, George war zwischenzeitlich auch noch von drei Männern in Beschlag genommen worden. Pamela fuhr mit ihrer zwitschernden Stimme fort: »Ist das nicht schrecklich, dass wir vorerst auf die Hochzeitsreise verzichten müssen? London! Paris! Rom! Venedig und Verona! Wir können unmöglich im Winter reisen, zumal meine Gesundheit noch sehr angegriffen ist. George meint, es wäre zu anstrengend. Ach, er ist ja so lieb und rührend um mich besorgt. Er hat fest versprochen, im nächsten Frühjahr zu reisen. Kennst du London, Frederica?«
»Noch nicht«, presste Frederica zwischen den Zähnen hervor. »Mein Vater wird mich aber auf seiner nächsten Reise in die Hauptstadt mitnehmen.«
Entzückt klatschte Pamela in die Hände.
»Wie schön! Wir müssen es einrichten, zur selben Zeit nach London zu reisen, dann könnten wir gemeinsam Einkäufe machen.«
Das ist genau das, was ich mir immer gewünscht habe, dachte Frederica ironisch und konnte nicht umhin zu antworten: »Nach allem, was ich bisher von London gehört habe, soll die Stadt sehr laut und schmutzig sein. Von Edinburgh war ich allerdings sehr beeindruckt. Die Stadt ist zwar sehr alt, trotzdem voller Charme.«
»Edinburgh? Das kenne ich leider nicht.« Pamelas Gesicht war ein einziges Fragezeichen. »Liegt die Stadt in der Nähe von London?«
Frederica verdrehte über so viel Dummheit die Augen. Bevor sie zu einer Erwiderung ansetzen konnte, hörte sie hinter sich eine tiefe Stimme: »Edinburgh ist die Hauptstadt von Schottland, und tatsächlich eine faszinierende Stadt voller Leben und interessanter Menschen.«
Überrascht drehte Frederica sich um und sah nichts weiter als eine breite Brust, die von einem dunkelgrünen Rock mit einem schneeweißen, rüschenbesetzten Jabot geschmückt wurde.
»Huch!«, rief sie und stolperte einen Schritt zurück. Dabei blieb sie mit ihrem Rock an der Tischkante hängen und wäre beinahe gestürzt, wenn der Fremde nicht blitzschnell ihren Arm ergriffen und festgehalten hätte.
»Lord Collingford! Wie schön, dass Ihr uns die Ehre gebt«, flötete Pamelas Vogelstimmchen, ungeachtet des kleinen Zwischenfalls. »Ihr kommt gerade recht, zu unserer kleinen Diskussion, welches denn die schönste Hauptstadt der Welt ist, Ihr seid doch ein
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