Im Schatten der Vergeltung
hin und wieder aufzuheitern. Seit Maureens Tod hatte er sich völlig verändert. Still und in sich zurückgezogen suchte er kaum noch den Kontakt zu anderen Menschen, nur Frederica ertrug er in seiner unmittelbaren Nähe. Das alles war für das Mädchen ein untrügliches Zeichen, dass ihres Vaters Herz gebrochen war.
Endlich war die lange Zeremonie zu Ende, und das frisch vermählte Paar verließ die Kirche. Frederica und Philipp reihten sich in die Schlange der Gäste ein und folgten den Brautleuten. Wegen des Regens suchte jeder schnell seine Kutsche auf. Man verzichtete auf die Glückwünsche vor der Kirche und würde sie erst unter dem schützenden Dach von Linnley Park aussprechen.
Kaum hatte der Diener den Schlag geschlossen, seufzte Frederica abgrundtief.
»Wäre es sehr unhöflich, wenn wir einfach nach Hause fahren würden?«
»Ja, mein Kind, das wäre es. So wenig ich Lust auf die Gesellschaft verspüre, ein paar Stunden müssen wir noch durchhalten.«
»Vor dem Dinner können wir doch gehen, oder?«, fragte Frederica hoffnungsvoll. »Schließlich sind wir immer noch in Trauer.«
Philipp nickte.
»Das wird uns niemand verübeln. Die Hochzeit ist das Ereignis in Cornwall, und wir können uns leider nicht gänzlich ausschließen.«
Stirnrunzelnd kuschelte Frederica sich in die Polster. Bei dem Gedanken, George und Pamela March ... ach nein, sie hieß ja jetzt Linnley ... ihre Glückwünsche zu überbringen, verzog sie unwillig das Gesicht. Sie würde es aber hinter sich bringen, und niemand würde merken, dass George ihr Herz auf alle Ewigkeit gebrochen hatte.
Nach der schockierenden Eröffnung im Frühjahr war Frederica ihm wochenlang aus dem Weg gegangen. Sie wusste genau, zu welcher Tageszeit er auf welcher Strecke ausritt und mied diese Plätze. Eigentlich hätte das jährliche Gartenfest auf Linnley Park mit der Hochzeit verbunden werden sollen, aber wegen Pamelas Erkrankung wurden sämtliche Festivitäten abgesagt. So trafen Frederica und George in all den Monaten nur selten aufeinander. George hatte sich Frederica gegenüber freundlich und korrekt verhalten, und Frederica begegnete ihm mit der gleichen unverbindlichen Höflichkeit. Wenn sie glaubte, er würde es nicht bemerken, beobachtete sie ihn aber verstohlen. Nie zuvor war er ihr eleganter und attraktiver erschienen, und es wurde ihr schmerzlich bewusst, was sie verloren hatte. Die erste Zeit war Frederica der festen Überzeugung gewesen, an gebrochenem Herzen zu sterben. Aus Kummer aß sie kaum noch etwas und ging selten an die frische Luft. Selbst der Besuch eines Londoners Ehepaars, das wegen eines Unfalls mit ihrer Kutsche einige Tage in Trenance Cove logiert hatte, hatte in ihr nicht das Interesse für ihr Umfeld geweckt. Erst, als die Hochzeit im September nicht wie geplant stattfinden könnte, hatte Frederica neue Hoffnung geschöpft. Vielleicht würde George es sich noch anders überlegen? Was wollte er mit einer schwachen und kränklichen Frau? Sie, Frederica, war vielleicht nicht von einer solch zarten Schönheit wie Pamela March und konnte bei weitem nicht gut wie diese das Pianoforte spielen, mit ihr jedoch konnte George stundenlang über die Felder reiten, ohne dass sie ermüdete, und sie schreckte weder vor Wind noch einem Regenschauer zurück. Würde Pamela ihm überhaupt gesunde, kräftige Kinder schenken können? Frederica bezweifelte es. Allerdings beschränkten sich ihre Kenntnisse, was das Thema Kinderkriegen anging, auf die wenigen Wortfetzen, die sie von den tuschelnden Dienstmägden aufgeschnappt hatte. Sagten aber denn nicht alle, eine Frau müsse jung, gesund und stark sein, um Schwangerschaft und Geburt zu überleben? Verzweifelt wünschte sich Frederica, mit ihrer Mutter sprechen zu können, denn das war kein Thema, mit dem sie sich ihrem Vater anvertrauen konnte. Lady Esther, die sich eifrig – zu eifrig, wie es Frederica empfand – darum bemühte, dem armen, jungen Ding zwar die Mutter zu ersetzen, sie aber gleichzeitig nicht als Schwiegertochter wollte, war wohl die letzte Person auf der Welt, der gegenüber Frederica ein Wort über ihre Gefühle für George äußern würde.
Monatelang tobte ein stetiger Kampf zwischen Verzweiflung und Hoffnung in Frederica, der heute sein Ende gefunden hatte. George Linnley war der Ehemann einer anderen geworden und für Frederica unwiderruflich verloren. Jetzt würde sie nur noch das höfliche Geplänkel beim Empfang über sich ergehen lassen müssen, dann endlich
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