Im Schatten der Vergeltung
er bestand darauf, dass Philipp den Kontakt zu Maureen abbrach. Immer, wenn Maureen in den nächsten Tagen das Gespräch mit den Eltern gesucht hatte, hatte sie den großen Hass ihrer Mutter auf die Engländer aufs Neue erlebt.
Mit der Abneigung aller Hochlandschotten gegen die Engländer und alles, was aus dem Land jenseits des Tweeds kam, war Maureen seit ihrer Geburt vertraut. Wie jedes schottische Kind hatte sie die Geschichten der Jakobiten-Aufstände und die Niederlage bei Culloden schon mit der Muttermilch eingesogen. Ihrer Mutter war es gleichgültig, dass Maureen als Kind die Zusammenhänge nicht verstand. Immer wieder hatte sie zu hören bekommen, wie ein junger, schmächtiger Mann sein sonniges Geburtsland Italien verlassen und sich in das kühle Schottland aufgemacht hatte. Angeblich war er der Sohn des rechtmäßigen Königs von England, auf dessen Thron nun ein unkultivierter Deutscher saß. Und dieser Junge, von allen Schotten noch heute zärtlich Bonnie Prince Charlie genannt, scharte Tausende von tapferen Männern um sich, mit denen er einen Siegeszug nach London startete. Nach einigen erfolgreichen Schlachten kam jedoch der schwärzeste Tag in der Geschichte Schottlands: Am 16. April 1746 kam es zu der letzten und entscheidenden Begegnung zwischen einer ausgezehrten, erschöpften Hochlandarmee, die im Moor bei Culloden auf ein weitaus größeres Heer kräftiger englischer Soldaten traf. Die Schlacht dauerte nur knapp anderthalb Stunden – neunzig Minuten, in denen etwas mehr als viertausend kaum ausgebildete Schotten mit unzureichenden Waffen und wenig Munition den britischen Truppen, bestehend aus siebzehntausend gedrillten Männern, gegenüber standen. Sechzehn Infanteriebataillone, zwölf Schwadrone Kavallerie, acht Kompanien Miliz, zehn Bataillone Artillerie. Weitere achttausend freiwillige Milizen aus den Lowlands mit Waffen, Kanonen und Munition, die gereicht hätten, halb England auszurotten, zogen siegessicher zum Culloden Moor. Die unwirtliche Gegend am Fuße des schottischen Hochlands war von den Rebellen für die letzte, alles entscheidende Schlacht um die Krone Englands gewählt worden – eine schlechte Wahl, wie der Tag zeigen sollte. Die britische Armee hatte am Ende fünfzig Tote zu beklagen, und auf jeden dieser Gefallenen kamen vierundzwanzig Rebellen. Jeder Schotte, der noch verwundet auf dem Schlachtfeld lag, wurde in den folgenden Stunden brutal niedergemetzelt, Gefangene wurden keine gemacht. Die Engländer gingen mit einer unvorstellbaren Grausamkeit zu Werke. Gleich am nächsten Tag wurden Truppen ausgesandt, um flüchtige Rebellen aufzugreifen. In den Augen der englischen Soldaten war jeder Schotte, gleichgültig, ob er sich am Aufstand beteiligt hatte oder nicht, ein Verräter. Die Männer machten auch vor Frauen und Kindern nicht halt. Binnen weniger Wochen war der weiche Boden des Hochlands vom Blut tausender Schotten getränkt.
Die Schotten, die das Massaker überlebt hatten, wurden gezwungen, ihre Kultur zu verleugnen. Wenn jemand mit einem kleinen Stück karierten Stoffes, dem Tartan, erwischt wurde, bedeutete das seinen sicheren Tod. Die gälische Sprache wurde verboten, ebenso das Spielen des Dudelsacks und das Singen der alten melodischen Weisen. Um die Einhaltung der Sanktionen im Hochland zu überwachen, bauten die Engländer Forts und postierten überall Soldaten. Es herrschte eine gedrückte Stimmung. Die Menschen konnten einander nicht mehr trauen, niemand wusste, wer Freund und wer Feind war.
Als Maureen älter wurde, begann sie nach und nach die Abneigung ihrer Mutter gegen die Engländer zu begreifen. Sie konnte ihre Eltern nun zwar besser verstehen, sie selbst jedoch war erst nach diesen Ereignissen geboren und lebte in einer heilen Welt. Die Beechgroves waren königstreue Schotten, die oft Besuch von Angehörigen der englischen Armee bekamen. Maureen hatte niemals schlechte Erfahrungen mit einem Engländer gemacht. Als sie Philipp Trenance kennenlernte, war es unwichtig, welcher Nationalität er angehörte. Er war der Mann, den sie liebte, den sie heiraten und mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte.
Die Verliebten trafen sich weiterhin heimlich, dann rückte Philipps Abschied aus der Armee und seine Rückkehr nach Südengland unaufhaltsam näher. Als er Maureen bat, ihn zu begleiten, zögerte sie keinen Moment. Es blieb ihr aber nichts anderes übrig, als heimlich zu fliehen. In diesem Augenblick empfand sie ihre Flucht als romantisches
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