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Im Schatten der Vergeltung

Im Schatten der Vergeltung

Titel: Im Schatten der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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bröckelte unter Lady Esthers eisigem Blick. Warum musste sie ausgerechnet in diesem Moment auftauchen? Nie zuvor war sie George so nah gewesen. Nur einen Augenblick später und er hätte sie geküsst. Und danach – davon war Frederica überzeugt – hätte er ihr einen Heiratsantrag gemacht, denn ein ehrenwerter Mann küsste eine Frau nur, wenn er sie auch heiraten wollte. Frederica hatte zwar schon beobachtet, wie Dienstboten miteinander flirteten, ohne dass das eine tiefere Bedeutung hatte, einer Dame der Gesellschaft war es erst nach dem Verlobungstag erlaubt, sich allein mit ihrem Bräutigam in einem Raum aufzuhalten. Vielleicht wäre sogar schon heute ihre Verlobung verkündet worden?
    Frederica erinnerte sich noch gut an den Skandal, der vor wenigen Monaten das Gesprächsthema der ganzen Grafschaft gewesen war: Ein junger Adliger, der allein am späten Nachmittag mit einem Mädchen in deren Einspänner ausgefahren war, weigerte sich am darauf folgenden Tag, das Mädchen zu ehelichen. Obwohl beide beteuerten, es sei nichts geschehen – was genau überhaupt geschehen sein könnte, lag für Frederica noch immer im Dunkeln –, forderte der Vater des Mädchens den jungen Mann zum Duell. Er verwundete ihn schwer, und das Mädchen wurde daraufhin zu Verwandten in den Norden geschickt. Die gesamte feine Gesellschaft zeigte sich entrüstet über das Verhalten des jungen Adligen und war sich einig, dass der Vater des Mädchens zu recht Satisfaktion gefordert hatte. Wenn ein Mann ein Mädchen also heiraten musste, weil er am helllichten Tage mit ihr ausgefahren war, dann musste sie mit George Linnley nun so gut wie verlobt sein.
    Frederica seufzte und bedauerte, dass ihre Mutter nicht hier war. Sie musste unbedingt mit ihr darüber sprechen, obwohl sie wusste, dass Maureen George Linnley nicht besonders mochte. In Fredericas Augen war George nicht nur äußerst attraktiv, er verfügte auch über gute Umgangsformen und Manieren, und tanzte wie ein junger Gott. Wenn sie nur an ihn dachte, begann ihr Herz heftig zu klopfen, wenn sie in seiner Nähe war, konnte sie kaum einen klaren Gedanken fassen. Frederica wusste nicht viel über die Liebe, das alles musste aber doch bedeuten, dass George der Richtige für sie war. Frederica hätte sich zwar andere Schwiegereltern gewünscht, in ihrer jugendlichen Unschuld dachte sie jedoch, dass sich Lady Esthers Verhalten gewiss ändern würde, wenn sie erst einmal in Linnley Park lebte. Frederica sah lediglich im Umgang mit Georges Mutter ein Problem. Von Lord David sah oder hörte man oft tagelang überhaupt nichts. Er saß am liebsten in der Bibliothek und las in dicken Büchern, die nach Fredericas Meinung keinen normalen Menschen interessieren konnten. Gesellschaften wie dieses Gartenfest waren ihm regelrecht verhasst, er machte jedoch gute Miene zum bösen Spiel. Überhaupt tat Lord Linnley alles, um seine Frau friedlich zu stimmen. Frederica hatte den Eindruck, dass ihm nichts wichtiger war als seine Ruhe, dabei war er weder alt noch krank. Er hatte gerade die Fünfzig überschritten, war zwar von kleiner und schmächtiger Statur, jedoch bei guter Gesundheit. Mit ihm werde ich mich gut verstehen, dachte Frederica, und konnte den Moment, wenn ihre Verlobung mit George Linnley verkündet werden würde, kaum noch erwarten.
    W as David Linnley betraf, waren sich Frederica und ihr Vater sehr ähnlich. Auch Philipp bedauerte dessen stille Zurückhaltung, denn im Grunde mochte er ihn sehr gern. Wenn er nur nicht so schrecklich phlegmatisch wäre! Linnley sprach nicht viel, und wenn, dann stimmte er seiner Frau zu. In all den Jahren, in denen sie sich kannten, war es Philipp erst einmal gelungen, Linnley aus der Reserve zu locken, als die Männer über den Krieg in Amerika in eine Diskussion geraten waren.
    »Der König hat vollkommen recht, der Aufstand muss blutig niedergeschlagen werden«, hatte Philipp sich ereifert.
    »Denkt Ihr dabei auch an die vielen unschuldigen Menschen, die ihr Leben verlieren?« Linnleys Blick war trübe, beinahe schon melancholisch gewesen
    »Daran hätten sie denken müssen, bevor sie die Waffen gegen ihren rechtmäßigen Herrscher erhoben haben«, beharrte Philipp auf seinem Standpunkt.
    Linnley schüttelte den Kopf. So leise, dass Philipp Mühe hatte, ihn zu verstehen, sagte er: »Krieg ist das Grausamste, das es auf dieser Welt gibt. Es lässt sich kein vernünftiger Grund finden, einen Krieg zu beginnen und ihn zu führen. Wenn Sie so viele

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