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Im Schatten der Vergeltung

Im Schatten der Vergeltung

Titel: Im Schatten der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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Abenteuer und war überzeugt, wenn ihre Eltern erst merkten, wie glücklich sie und Philipp waren, würden sie ihre Einstellung ändern. Nach einer kurzen Station in Edinburgh heirateten Maureen und Philipp kurz vor der Grenze nach England in dem kleinen Dorf Gretna Green. Nach schottischem Recht war Maureen mit sechzehn Jahren bereits volljährig und die Eheschließung auch in England gültig.
    Maureen kehrte wieder in die Gegenwart zurück. Während sie vorhin noch gefroren hatte, war ihr jetzt unsäglich heiß. Kleine Rinnsale liefen ihr zwischen den Brüsten hinab, das elegante, leichte Seidenkleid klebte an ihrem Rücken. Wie gebannt starrte sie auf den Brief in ihren Händen. Schließlich gab sie sich einen Ruck, riss den Umschlag auf und las die wenigen Worte:
    Maureen ...
    Sie schluckte. Da stand einfach nur ihr Name, nicht etwa Liebe Maureen oder Meine Tochter . Offenbar hatte ihr die Mutter auch nach den vielen Jahren nicht verziehen. Sie las weiter:
    Ich sehe es als meine Pflicht an, Dir mitzuteilen, dass Dein Vater im Sterben liegt. Ich hoffe, Du lebst noch im Süden und dieser Brief wird Dich erreichen. Es ist der Wunsch Deines Vaters, dass Du über seinen Zustand unterrichtet wirst. Vielleicht kannst Du ihm schreiben. Er würde sich über ein paar Zeilen von Dir freuen.
    Laura Mowat
    D as war alles. Maureen stand wie erstarrt. Der Brief enthielt kein Datum. Wann war er in Edinburgh aufgegeben und wie lange unterwegs gewesen? Vielleicht war ihr Vater bereits gestorben? Tränen liefen über ihre Wangen. Sie dachte an ihren Vater und spürte einen Stich in ihrem Herzen. Während ihrer Kindheit und Jugend hatte sie immer das Gefühl gehabt, von ihrem Vater mehr als von ihrer Mutter geliebt worden zu sein. Ihre Mutter hatte ihr nie viel Aufmerksamkeit geschenkt. Maureen bekam genug zu essen und sie sorgte für ihre Kleidung. Es war jedoch ihr Vater gewesen, auf dessen Knien sie schaukelte und der sie in den Arm nahm und tröstete, wenn sie sich wehgetan hatte. Bei Krankheiten war ihr Vater an ihrem Bett gesessen, und ihr Vater küsste sie am Abend auf die Stirn und hatte die Decke über sie gebreitet.
    Er würde sich über ein paar Zeilen von dir freuen.
    Nach ihrer Ankunft in Cornwall hatte Maureen ihren Eltern Woche für Woche geschrieben. Unermüdlich, über viele Jahre hinweg. Selbst, als sie ihnen von Fredericas Geburt berichtete, wartete sie vergeblich auf eine Antwort. Nicht einmal ein Enkelkind hatte das harte Herz ihrer Mutter erweichen können. Schließlich schickte sie einen Brief an Lady Beechgrove, fragte nach ihren Eltern, doch auch von ihr erhielt sie keine Zeile. Irgendwann hatte Maureen aufgegeben und sich damit abgefunden, dass sich ihre Eltern von ihr losgesagt hatten. Ihr Zuhause war jetzt hier in Cornwall, und sie hatte eine eigene Familie. Es gab aber immer wieder Momente, in denen Maureen sich nach ihren Eltern sehnte und sich wünschte, sie noch einmal zu sehen und in die Arme schließen zu können.
    Als Frederica begann, sich nach der Familie ihrer Mutter zu erkundigen, war es Philipp, der dem Mädchen erklärte, ihre Großeltern wären schon vor langer Zeit gestorben. Frederica wusste, dass ihre Mutter aus Schottland kam, sonst hatte Maureen ihr aber nicht viel erzählt. Frederica interessierte sich auch nicht für das Land, das irgendwo weit im Norden lag, und gab sich mit den spärlichen Angaben über Maureens Vergangenheit zufrieden.
    E rst als die Sonne am Horizont versank, merkte Maureen, wie lange sie gesessen und sich in Erinnerungen verloren hatte. Das Gartenfest ging jetzt seinem Ende entgegen, Philipp und Frederica würden bald nach Hause zurückkehren. Dann musste sie Philipp den Brief zeigen. Und sie würde ihrem Vater schreiben ... Nein, sie würde ihm nicht schreiben! Ein kühner Gedanke schoss wie ein Blitz durch Maureens Kopf und nahm Gestalt an. Behände sprang sie auf und lief aufgeregt auf und ab. Sie würde nicht schreiben, sie würde zu ihm fahren, nach Edinburgh! Es war ihr gleichgültig, was Philipp davon halten würde. Er würde seine Zustimmung verweigern, sie musste aber reisen! Der Brief war ein Zeichen, vielleicht ein Fingerzeig Gottes, und vielleicht würde es endlich zu einer Aussöhnung kommen. Maureen konnte nicht für den Rest ihres Lebens ihre Familie und ihre Heimat verleugnen. Es herrschte Frieden im Land, die Reise würde zwar beschwerlich, aber sicher sein. Maureen schmunzelte, wenn sie sich vorstellte, wie entrüstet Esther Linnley reagieren

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