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Im Schatten des Drachen

Im Schatten des Drachen

Titel: Im Schatten des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Leuning
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grünen Lunge Dublins, und an vielen anderen Seen, Teichen oder Tümpeln, an denen wir gewesen waren. WIR. Ich schloss die Augen und schüttelte kurz den Kopf, wie immer, wenn sich Gedanken darin einzunisten versuchten, die nicht willkommen waren. Ich war noch nicht bereit dafür.
    Jenes prickelnde Gefühl ließ mich nach einiger Zeit meine Augen wieder öffnen, und dieses Mal fokussierten sie nicht auf die plappernden Kinder, sondern auf eine kleine Menschengruppe, die den Kiesweg entlang aus dem Schatten der Bäume heraus in das helle Sonnenlicht spazierte. Es war September, und um diese Jahreszeit stand die Sonne schon ziemlich tief, sodass sie mir in die Augen blendete. Ich zog die Sonnenbrille von der Stirn auf die Nase. Drei Männer kamen auf mich zu, schwatzend, lachend, überschwänglich gestikulierend. Offenbar waren sie in ein angeregtes Gespräch vertieft, über dessen Thema sie sich köstlich amüsierten.
    Ich lehnte mich auf meiner Parkbank zurück, drehte mich ein bisschen seitlich und legte den rechten Arm über die Lehne. Diese Haltung, das hatte ich durch sorgfältiges Studium verschiedenster Parkbesucher herausgefunden, sah am coolsten aus; außerdem bot sie mir die Gelegenheit, über die Schulter ganz diskret die Herannahenden zu beobachten und ihre Schritte bis zur anderen Seite meines Blickfeldes zu verfolgen, ohne dabei den Kopf merklich drehen zu müssen. Nicht zuletzt hatte ich so die Möglichkeit, mein linkes Bein unauffällig auszustrecken. Betont lässig legte ich den Kopf in meine rechte Hand, die Augen hinter dem Schutz der Sonnenbrille neugierig auf die kleine Gruppe gerichtet. Der in der Mitte trug einen Hut.
    Die drei hatten sich mir mittlerweile bis auf wenige Meter genähert, und jetzt bemerkte ich auch, dass nur zwei miteinander sprachen. Der Dritte ging einfach ruhig neben ihnen her, die Hände in den Taschen seiner grünen Daunenjacke vergraben, die Schritte wohlbemessen, den Kopf mit den leuchtend roten Locken leicht gesenkt. Das Grün der Jacke und das Rot seines Haars bildeten einen seltsam faszinierenden Kontrast. Kurz vor mir schaute er auf und mich direkt an. Für einen Moment nur begegneten sich unsere Blicke, meiner dazu noch hinter den dunklen Gläsern meiner Sonnenbrille verborgen.
    Trotzdem hatte ich das Gefühl, als wäre eben etwas ganz Wunderbares passiert. Meine Nackenhaare stellten sich auf, die Ader an meiner Schläfe begann zu pochen, und durch meinen Körper schoss ein süßer Schauer. Wieso? Weil er die Augen nicht abwandte, während er langsam an mir vorbeiging? Konnte er spüren, dass auch ich ihn mit meinem Blick verfolgte?
    Die beiden anderen bemerkten nichts, schlugen sich ausgelassen über einen Scherz, den weder er noch ich mitbekommen hatten, auf die Schulter und stießen dann auch ihn an. Das lenkte ihn von mir ab, unterbrach unseren Blickkontakt, was beinahe schmerzhaft für mich war. Irritiert schob ich die Sonnenbrille auf die Stirn, während ich noch immer dem grünen Parka nachschaute. Er war schon fast aus meinem Blickfeld entschwunden, da drehte er sich plötzlich noch einmal um, sah zurück und mich noch immer schauen, und mit einem Mal huschte ein Lächeln über sein Gesicht. War es die Sonne, die mich blendete oder der Reflex, den seine Geste auslöste? Ich spürte, wie ich die Augen zusammenkniff und meine Mundwinkel sich verzogen - zu einem Lächeln, wie mir schien. Das erste seit Monaten. Dann war er fort.
       
     
    Nach einer Ewigkeit erhob ich mich - oder waren es nur ein paar Minuten gewesen, die ich gedanken- und blicklos vor mich hingestarrt hatte? Mittlerweile fühlten sich meine Glieder so steif an, als hätte ich schon seit Stunden in der kalten Brise gesessen, die jetzt vom See herüberwehte. Es war ganz eindeutig Herbst geworden in Irland, und auch das hektische Pulsieren der Großstadt konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Dinge jenseits von Beton und Glas nach anderen Gesetzen richteten als tickenden Ampeln und Busfahrplänen.
    Herbst, das war die Zeit der Farbenpracht, der Ausgelassenheit und des letzten Frohsinns vor der Winterkälte. Auch hier in der Stadt konnte man das spüren. Es war gerade, als könnten sich die Menschen zwischen den luftig-leichten Kleidern des Sommers und den drückend-wärmenden Daunenjacken des Winters nicht entscheiden, und so gestaltete sich die Mode der vorbeiflanierenden Menschen höchst durchwachsen wie das Wetter auf der grünen Insel. Eben verzog sich die Sonne hinter einer

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