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Im Schatten des Drachen

Im Schatten des Drachen

Titel: Im Schatten des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Leuning
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Zeit gehen wollen, und ich wandte mich zur Bar um. Doch bei der Flut an Getränkebestellungen, die auf den Wirt einprasselten, war es jetzt unmöglich, ihm auch noch meine Rechnung abzuverlangen. Also blieb ich schicksalsergeben sitzen und schielte wieder verstohlen zu ihm hinüber. Gerade trank er in großen Schlucken sein Bier aus, und als er es absetzte, zwinkerte er mir zu und hob dann zum Wirt gewandt die Hand, streckte den Daumen in die Luft, formte darauf zusammen mit dem gekrümmten Zeigefinger ein symbolisches G und deutete auf mich. Im Gegensatz zu mir schien der Wirt diese Geste zu begreifen, denn zwei Minuten später stellte er ein Guinness bei mir ab, das ich nicht bestellt hatte. Ich wollte ihn schon auf seinen Irrtum hinweisen, aber er brummte beschwichtigend: „Don’t panik, this round’s on Paul.“ Damit war die Sache geklärt, obgleich ich das Bier noch nicht anzurühren wagte. Paul also.
    Noch einmal erhob die Geige ihre reine, etwas wehmütige Stimme, sang von Molly Melone und deren traurigem Schicksal, während der Hut des Drummers von einem zum anderen gereicht wurde. Als er bei mir ankam, klimperten schon eine Menge Münzen darin herum. Ohne hinzusehen, griff ich in meine Geldbörse und warf mein ganzes Kleingeld hinein. Es waren sicher an die fünf Euro, aber das war mir egal. Währenddessen war das Spiel der Geige in einen flotten Traditional übergesprungen, dessen nicht enden wollender Singsang viele im Pub von den Stühlen und auf die improvisierte Tanzfläche vor der kleinen Bühne zog. Ich sah ihnen beim Tanzen zu, und beinahe gegen meinen Willen begann ich, im Rhythmus mitzuklatschen.
    Plötzlich schien mir, als folgte er meinen Bewegungen, während unsere Blicke aneinandergeheftet blieben. Was für ein Spiel wurde hier gespielt?! Und war ich bereit, es mitzuspielen? Mein Lächeln wurde zu einem spitzbübischen Grinsen, das ihn provozieren und foppen sollte, während ich meine Schläge beschleunigte. Er ließ sich willig von mir antreiben, immer schneller, immer höher hinaus, konzentriert auf meine Hände schauend und doch irgendwo hoch oben mit seiner Musik fliegend, bis er schließlich auf dem Höhepunkt seiner musikalischen Ekstase völlig außer Atem abbrach und den Schlussakkord setzte. Im Toben der Menge verließen die Musiker die Bühne.
    Nur langsam beruhigte sich der Hexenkessel um mich herum, und auch mein Herz brauchte einige Minuten, um wieder zur gewohnten Geschwindigkeit zurückzufinden. Noch immer euphorisiert starrte ich auf das Guinnesglas vor mir. Die eine Hälfte in mir wollte hier verschwinden, jetzt sofort, ehe es zu spät war. Zum Zahlen hatte ich jetzt mehr als eine Gelegenheit, denn alle Gäste im Pub waren mit Getränken versorgt, schwatzten und lachten bei ihrem letzten Glas ausgelassen vor sich hin. Doch da gab es noch die andere Seite in mir, die neugierige, die bleiben, ausprobieren, kosten wollte von der Versuchung, die sich mir so unschuldig bot. Ich ließ eine Zahlgelegenheit nach der anderen verstreichen und hoffte einfach immer wieder auf die nächste.
    Schließlich spürte ich, wie sich jemand auf den Barhocker neben mir setzte und die geschlossene Hand in mein Blickfeld schob. Ich erkannte diese Hand sofort: die schlanken, geraden Finger mit den großen, glatten Nagelbetten und den sauberen, rundgefeilten Nägeln hatte ich in der letzten Stunde sehr ausgiebig beobachtet. „Is this yours?“, fragte mich seine nun nicht mehr elektronisch verstärkte Stimme. Damit öffnete sich die Faust, und darin lag ein kleiner, regenbogenfarbener Anstecker. Mein Anstecker. Unverwandt starrte ich das runde Ding an.
       
     
       
     
    Dublin, Gay-Dance-Club, Februar 2002 zur Karnevalszeit
       
     
    „Sieh mal, das wäre doch etwas für dich?!“
    Der kleine Pin, den Marc aus einer Box auf dem Tresen gefischt hatte, glitzerte im bunten Discolicht. Um sie herum lärmte die Menge, das GUBU war brechend voll und die Party absolut im Gange. Die Jungs und Männer lachten und feierten ausgelassen, manche verkleidet, manche in Alltagskluft, aber alle fröhlich, offen, ungeniert. Karneval war eigentlich nicht Johannes’ Ding, und schon gar nicht in Dublin. Aber Marc hatte ihn überraschenderweise in diesen Gay Dance Club bugsiert, und da sie nun einmal hier waren, mochte Johannes ihm nicht die Stimmung verderben. Zögernd nahm er das bunte Ding in die Hand.
    „Ich weiß nicht, ist das nicht etwas albern, mit so einem Teil an der Brust

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