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Im Schatten des Drachen

Im Schatten des Drachen

Titel: Im Schatten des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Leuning
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zärtlich in den Hörer.
    „Danke, Finchen.“
    Die Ruhe und Sicherheit, mit der sie das Gespräch geführt hatte, klangen in mir noch lange nach, gaben mir Kraft für meine nächsten Schritte vor dem Frühstück. Meine Recherche im Internet ergab eine Menge weiterer Erkenntnisse über Pauls Krankheit: dass ihr spontan auftretende Krampfanfälle gemein seien, unwillkürliche, stereotype Verhaltens- und Befindlichkeitsstörungen, von denen manchmal nur ein Teil des Körpers, ein Arm oder eine Gesichtshälfte, manchmal aber auch der gesamte Körper betroffen sei. Manche Patienten hätten visuelle oder akustische Halluzinationen, manche litten unter Gedächtnislücken oder Verwirrtheit. Es käme darauf an, welche Gehirnregion betroffen sei. An dieser Stelle schluckte ich trocken: Gehirnregion? Scheiße, würde sich Paul am Ende zum ewig sabbernden, dementen Schoßhündchen zurückentwickeln? Es waren einfach zu viele Details, als dass ich sie hätte erfassen können. Vielleicht war es besser, wenn er mir selbst davon erzählte. Wie ich ihn allerdings danach fragen sollte, wusste ich noch nicht. Dafür wusste ich am Ende dieser schweren Recherche wenigstens, wo ich den Dubliner Instrumentenbauer finden konnte, den Tom mir genannt hatte, und kreuzte mir sein Geschäft im Stadtplan an.
       
     
    Ich stand bereits vor dem Schaufenster, als er gegen zehn Uhr morgens seinen kleinen Laden aufsperrte. Er betrachtete seinen ersten Kunden des Tages mit unverhohlener Neugier; offenbar sah mir sein geübtes Auge sofort an, dass ich nicht vom Fach war und von Instrumenten, geschweige denn der Violine unter meinem Arm, überhaupt keine Ahnung hatte. Ihre Defekte fand er natürlich sofort, ohne dass ich ihn darauf hinweisen musste.
    „Das sieht schlimm aus“, brummte er in breitestem Irisch.
    „Aber Sie können es doch reparieren, oder?“
    Ich konnte nicht umhin, ein leichtes Flehen in meine Stimme zu legen.
    „Hmm, wird schwierig. Und teuer.“
    Er blinzelte mich über die Gläser seiner Halbmondbrille hinweg an.
    Ich schüttelte energisch den Kopf. „Das ist egal. Ich zahle den doppelten Preis, wenn Sie sie bis heute Nachmittag fertig bekommen.“
    Sofort schämte ich mich für meinen halbherzigen Bestechungsversuch. Wie kam ich als Fremder dazu, einem Einheimischen Geld anzubieten wie einem billigen Tagelöhner?!
    Der Alte schien mir meine Frechheit jedoch nicht krumm zu nehmen, sondern lächelte verschmitzt, während er mit der Hand über die Saiten streichelte.
    „Das glaube ich Ihnen gerne.“
    Ich stutzte und zog die Augenbrauen zusammen.
    „Was meinen Sie?“
    „Junger Mann, ich weiß genau, dass das hier nicht Ihr Instrument ist. Ich kenne sie so genau wie den Musiker, der sie spielt, und ich weiß auch, was gestern Abend passiert ist. Tom hat mich angerufen.“
    Ich ließ die Schultern hängen und nickte schicksalsergeben. Offenbar hatte Tom mir doch nicht ganz vertraut. Eigentlich wollte ich nun gar nichts mehr sagen, ihm die Geige einfach überlassen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Sollte Tom sie doch selbst wieder abholen.
    Doch dann stahlen sich die Worte über meine Lippen, ohne dass ich sie vorher hätte ordnen können.
    „Diese Geige bedeutet mir sehr viel. Ihr Spiel und auch der, der sie spielt. Mehr als Sex und rote Rosen. Bitte, bringen Sie sie wieder zum Klingen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar.“
    Das klang ganz schön gestelzt, aber mir fiel es in den letzten Tagen ohnehin schwer, Gefühle auszudrücken, und dann auch noch auf Englisch.
     Der Alte drehte die Violine fachkundig in den Händen, zupfte an den Saiten, prüfte im Gegenlicht den Lack.
    „Natürlich kann ich die Geige wieder herrichten. Es wird zwar eine aufwendige, aber nicht unmögliche Arbeit. Sie wird wieder so klingen wie vorher. Die Frage ist nur, ob Sie ihr wieder zuhören wollen.“
    Mit einem liebevollen Blick legte er das Instrument zurück in den Kasten und klappte den Deckel zu.
    „Gegen drei habe ich sie fertig. Es kostet nichts für Paul. Was Sie geben wollen, müssen Sie mit sich selbst aushandeln.“
    Ich nickte ihm kurz zu und wandte mich zur Tür. Im Hinausgehen hörte ich ihn noch murmeln:
    „Gelbe Rosen, die würden am besten zu diesem Holz passen.“
    Ich schloss sacht die Tür hinter mir und blinzelte in das Sonnenlicht.
       
     
       
     
    Dublin, Beaumont Hospital, 07. September 2007, später Nachmittag
       
     
    Das Licht blendete mir in die Augen. Dumpf und hohl hallten meine Schritte über den

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