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Im Schatten des Drachen

Im Schatten des Drachen

Titel: Im Schatten des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Leuning
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dem aufkeimenden Schwindel, der mich erfasste und beinahe in eine Ohnmacht trieb, hörte ich ihre Stimme unbarmherzig nahe an meinem Ohr.
    „Du hast dich schon für ihn entschieden. Sonst hättest du nicht bei mir angerufen, morgens um fünf Uhr.“
    Fünf Uhr? Ich klammerte mich haltsuchend an die banale Vorstellung, dass Josefine morgens um fünf Uhr, von ihrem Bruder wachgeklingelt, frierend in ihrer Nachtwäsche in der Küche saß und den harten Telefonhörer an ihr kaltes Ohr presste, statt im Schlafzimmer im Bett zu liegen und ihren Bauch an den warmen Körper ihres Mannes zu schmiegen. Ich fühlte mich schuldig, in ihr Privatleben eingedrungen zu sein, aber  diese Schuldgefühle waren wesentlich leichter zu ertragen als die anderen.
    „Tut mir leid, Finchen“, flüsterte ich, und ich meinte es auch so.
    „Schon gut. Hannes, sei vorsichtig. Mit ihm. Die meisten Epileptiker sind sehr sensibel. Und du auch. Ich weiß ja nicht, was genau bei euch gelaufen ist, aber ich kann mir vorstellen, dass es für euch beide nicht leicht sein wird. Weiß er schon über dich Bescheid?“
    „Ja.“
    Ich hatte keine Lust, ihr jetzt lang und breit unsere komplizierte Lovestory zu erzählen, und das akzeptierte sie kommentarlos. Meine Bedenken dagegen präsentierte ich ihr schonungslos.
    „Ich weiß nicht, ob das gut für mich ist, Fine. Ich meine, was ist, wenn das immer wieder passiert, wenn er mir mal beim Candle-light-dinner zusammenbricht, vor aller Augen. Weißt du, wie das aussah, als er da so lag und zuckte, völlig apathisch, völlig unkontrolliert? Es war so beängstigend, so schockierend - so abstoßend hässlich.“ Ich konnte nicht glauben, dass ich, gerade ich, das sagte.
    Josefine auch nicht.
    „Hannes, sag mal, hörst du dich jetzt eigentlich selbst reden? Gerade du müsstest doch wissen, wie das für ihn ist?! Und woher zum Teufel hast du deine Vorstellung von Schönheit und Charme? Aus diesen Schwulenzeitschriften, in denen drahtige Sunnyboys die Hosen runterlassen und braungebrannte Typen mit ihren Sixpacks spielen? Suchst du nur nach einem Abziehbild, das du dir an die Wand über deinem Bett pinnen kannst, wenn du dir einen runterholen willst? Hannes, komm, darüber bist du doch hinaus!“
    Dieser unerwartete Ausbruch meiner Schwester überrumpelte mich beinahe mehr als die Szene gestern Abend, weil sie mir deutlicher als alles andere den Spiegel vor Augen hielt. Eine ganze Weile drückte ich schweigend das Handy ans Ohr, wohlwissend, dass sie auf der anderen Seite genau dasselbe tat.
    „Wie geht es meiner Sonne?“, fragte ich leise, meine Stimme voll von der zärtlichen Zuneigung, die ich für meine kleine Nichte empfand.
    Josefine stieg auf meinen übergangslosen Themenwechsel ein:
    „Sie schläft noch, hoffe ich. Sie vermisst dich sehr, fragt immer, wann Onkel Annes endlich kommt.“
    Miri war vier, und das mit dem „h“ hatte sie noch nicht so drauf. Doch ihre abgöttische Kinderliebe zu mir tat Wunder für meine Seele.
    „Sag ihr, dass ich bald wieder nach Hause komme. Ich habe ohnehin nur zwei Wochen Zeit, dann ist mein Urlaub zu Ende. Bis dahin muss ich es geschafft haben.“
    „Was geschafft, Hannes?“
    „Das, weswegen ich hierher gekommen bin. Die letzten fünf Jahre verarbeiten, die Wunden schließen, das Chaos aufräumen, all das, was dieser tolle Psychiater mir in zig sinnlosen Stunden in seinem muffigen Gesprächszimmer gepredigt hat.“
    „Er hat sich sehr um dich bemüht.“ Josefines Stimme troff vor Ironie.
    „Ja, besonders als er merkte, dass ich schwul bin. Der hat wirklich geglaubt, das könnte er bei mir auch noch austherapieren! Der Idiot.“ - 
    „Hannes ...“
    „Schon gut. Ich rufe dich wieder an. Gib Miri einen Kuss von mir, ja?“
    „Auf jedes Augenlid einen, wie du es auch immer machst. Pass auf dich auf, mein Kleiner. Ansonsten kannst du im Falle des Falles nicht viel für ihn tun: sorg dafür, dass er sicher ist und sich dabei nicht selbst verletzt. Wenn er sich verkrampft, versuche nicht, das zu verhindern: die Fäuste können wie Schraubzwingen sein - und die Zähne auch. Du könntest höchstens darauf achten, dass er sich nicht an seiner Zunge oder anderem verschluckt, aber sonst - lass ihn dich ein bisschen spüren, sei einfach da.“ Sie schwieg kurz, fügte dann fast flüsternd hinzu: „Es gibt nichts, was nicht auch wehtun kann, Hannes. Aber du weißt doch noch, was Oma damals immer gesagt hat: Heulen hilft - und Liebe lindert.“
    Ich lächelte

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