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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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sie verkündete: »Tiago und ich haben beschlossen, dass er Guillermo heißen soll. Und Agustín – nach meiner Großmutter Agustina. Guillermo Agustín also.«
    Victoria erhob sich und fühlte, wie ihre Füße kribbelten, als wieder Blut in die Glieder floss. Ihr Kleid war voller Flecken, ihr Haarknoten hatte sich längst aufgelöst. Kurz war das Band zwischen den drei Frauen so eng und fest gewesen – nun fühlte sie förmlich, wie es riss. Sie hatte ihren Teil getan – aber das hieß nicht, dass sie zu dieser Familie gehörte. Sie blickte sich um, sah Glassplitter, verbrannte oder zerrissene Stoffe, aber kaum noch Menschen. Rebeca und Jiacinto waren verschwunden, stattdessen kam unerwartet Juan auf sie zugestürzt.
    »Was … was ist passiert?«, stammelte Victoria, als erwachte sie aus einem Traum.
    »Rebeca konnte rechtzeitig fliehen, Jiacinto auch, aber du … du musst jetzt hier raus. Die Polizei ist hier und jede Menge Soldaten.«
    Victoria erschauderte, als eine Erinnerung aufstieg – an die Demonstration vor der Población, die Schüsse, die damals gefallen waren, die Männer, die sie festgehalten hatten.
    »Schnell!«, drängte Juan. »Die Polizei ist draußen mit den Männern beschäftigt … ein paar wurden verhaftet … andere wehren sich noch … Gott sei Dank konnte ich Jiacinto ausreden, die Fäuste spielen zu lassen. Ich habe vorgegeben, ein Anwalt zu sein, den die Besitzer der Schneiderei herbeigerufen haben. Folge mir einfach unauffällig, dann wirst du nicht weiter Beachtung finden.«
    Victoria warf einen letzten Blick auf Aurelia, Alicia und den Kleinen. Das Gefühl, nicht länger dazuzugehören, verstärkte sich und gab ihr plötzlich einen schmerzhaften Stich. Sie hatten es gemeinsam durchgestanden, die Geburt, das Chaos, die Angst – doch all das würde für Aurelia nur eine kurze Episode in ihrem Leben bleiben, ehe sie wieder in das reiche, saubere Haus zurückkehrte, wo sie mit Tiago lebte, wo man Blut und Dreck von ihr waschen und das Kind in eine edle Wiege betten würde.
    So in dem Anblick ihres Kindes versunken, merkte Aurelia nicht, dass sie ging – und Victoria verkniff sich Worte des Abschieds, weil ihr keine angemessenen einfielen.
    Hastig folgte sie Juan die Treppe hinunter.
    »Rebeca muss verrückt geworden sein, dass sie bei alldem mitgemacht hat!«, fluchte Juan. »Das hier war kein gewöhnlicher Streik, das war … das war …« Er rang nach einem geeigneten Wort und stieß schließlich aus: »Das war ein gewaltsamer Akt.«
    »Niemand hat geplant, dass ein Feuer ausbricht!«, warf Victoria ein. »Rebeca und Jiacinto waren sehr bestürzt.«
    »Das glaube ich nicht!«, knurrte Juan. »Und am Ende sind sie doch beide abgehauen, anstatt Verantwortung zu übernehmen.«
    »Was hätten sie denn sonst tun sollen? Ins Gefängnis gehen?«
    Sie hatten die unterste Etage erreicht, als Juan kurz stehen blieb.
    »Mag sein«, gab er zu, »aber hör trotzdem auf, sie zu verteidigen. Im Übrigen …« Er zögerte, fuhr dann aber entschlossen fort: »Im Übrigen weiß ich, was du für Jiacinto empfindest. Und habe deswegen Mitleid mit dir. Denn er … nein, vielmehr wir tun vor allem, was Rebeca will. Da gibt es keinen Platz für eine andere Frau.«
    Victoria runzelte die Stirn. »Aber sie ist doch nur eure Schwester! Natürlich könntest du eine Frau haben, wenn du wolltest!«
    Ein gequälter Ausdruck trat in Juans Gesicht. Victoria hatte ihn schon öfter an ihm gesehen, aber ihn nie recht zu deuten vermocht. Juan schien einer zu sein, der ständig an irgendetwas litt.
    »Ja«, sagte er – und es klang endgültig wie ein Todesurteil. »Sie ist unsere Schwester … und zugleich mehr als das. Ich weiß auch nicht, was genau. Ich weiß nur: Sie ist eine Verführerin, niemand ist immun gegen ihre Reize. Ich bin mir nicht sicher, ob sie so stark ist oder wir so schwach, aber in jedem Fall bekommt sie am Ende immer ihren Willen.«
    Er nickte bekräftigend, dann eilte er die restlichen Stufen nach unten, und Victoria folgte ihm, nicht sicher, was er meinte und ob sie etwas dazu sagen sollte.
    Als sie in den Innenhof traten, war eben eine wilde Schlacht im Gange. Soldaten, Polizisten und Arbeiter hatten sich ineinander verkeilt, so dass es aussah, als wären die vielen einzelnen Leiber zu einem großen ganzen verschmolzen.
    Juan behielt recht, niemand achtete auf sie. Geduckt konnten sie sich an den prügelnden Leuten vorbeidrängen und das Tor erreichen. Eben kam eine Droschke

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