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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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vorgefahren, und während Juan sie weiterzog, beobachtete Victoria, wie zwei Männer ausstiegen. Der eine war Doktor Espinoza, der andere musste wohl Tiago sein, den sie erst einmal von ferne gesehen hatte. Auch jetzt konnte sie nur einen flüchtigen Blick auf ihn erhaschen, dann zog sie ihren Kopf noch tiefer, um von Espinoza nicht gesehen zu werden. Hastig überquerten sie die Straße, liefen in den Schatten einer Gasse und blieben erst an deren Ende stehen.
    »Warum … warum bist du eigentlich gekommen, um mich da rauszuholen?«, fragte Victoria atemlos.
    Juan klopfte sich mit ärgerlichem Gesicht den Ruß vom Jackett. »Jiacinto hat mich darum gebeten«, erklärte er schlicht.
    Heiß stieg die Freude in Victorias Gesicht. Ganz gleich, was Juan über Rebeca gefaselt hatte – und ganz gleich, dass Jiacinto mit seiner Schwester geflohen war, ohne sich weiter um sie zu kümmern – am Ende hatte er doch bewiesen, dass sie ihm nicht ganz so gleichgültig war, wie sie im Innersten ihres Herzens oft befürchtete.

    Selten hatte Aurelia William so erbost erlebt. Er war zwar nicht mitgekommen, um sie abzuholen – das hatte er Tiago in Begleitung von Doktor Espinoza überlassen –, dennoch wartete er zu Hause ungeduldig auf sie. Tiago trug Aurelia über die Schwelle, während Alicia den kleinen Guillermo Agustín hielt, doch anstatt nach dem Zustand von Schwiegertochter und Enkelkind zu fragen, wollte er vor allem wissen, was es mit diesem Aufruhr im Schneidersalon auf sich hatte.
    Später erfuhr Aurelia, dass es der Kutscher war, der von den Tumulten berichtet hatte. Er hatte in der Droschke vor dem Haus auf Alicia und Aurelia gewartet, miterlebt, wie sich die Männer versammelten, und war, nachdem es ihm verboten worden war, das Haus zu betreten, eiligst nach Hause gefahren, um Tiago zu alarmieren.
    »Verfluchte Unruhestifter!«, tobte der ansonsten so beherrschte William. »Unnützes Pack! Wie können sie es wagen!«
    Eine Weile erging er sich in der Aufzählung drakonischer Strafen, die er den Unruhestiftern wünschte. Tiago hatte Aurelia unterdessen vorsichtig auf dem Sofa abgesetzt, hatte Alicia seinen Sohn abgenommen und trat auf den Vater zu.
    »Es ist ein Junge«, murmelte er, und Aurelia entging nicht, dass seine Stimme irgendwie zaghaft klang – vielleicht wegen des ausgestandenen Schreckens um sie, vielleicht, weil es in den letzten Monaten so ungewohnt geworden war, den Vater zu unterbrechen. »Vater, sieh doch nur! Dein Enkelsohn!«
    Der Ärger wich aus Williams Gesicht. An seine Stelle trat Verwirrung – als wäre es unmöglich, dass ein Tag wie dieser noch etwas Gutes bringen konnte.
    »Umso schlimmer!«, rief er, jedoch nicht mehr heiser vor Wut. »Umkommen hätten sie alle können wegen diesem Pack!«
    Immerhin war er danach bereit, den Kleinen zu mustern, und auf seine Lippen trat dabei sogar ein seltenes Lächeln. Auch Alicia, die sich zu ihnen gesellte, strahlte auf ungewohnte Weise. Fremd sah sie aus mit dem offenen Haar und den fleckigen Kleidern – fremd, aber glücklich.
    Aurelia schloss die Augen und sandte ein Dankgebet gen Himmel. Die Erinnerung an den durchstandenen Schmerz verblasste, sämtliche Anspannung und Angst auch. Noch im Schneidersalon hatte Doktor Espinoza sie und das Kind untersucht und war zum Schluss gekommen, dass es nicht notwendig war, sie eigens ins Krankenhaus zu bringen. Verwundert hatte er gefragt, wer ihr bei der Geburt beigestanden hatte – es mussten erfahrene Hände gewesen sein.
    Aurelia, um ihren Zwist wissend, verschwieg Victorias Namen, um sie zu schützen – und auch Alicia sagte nichts. Und jetzt wollte keiner mehr an diese Stunden des Schreckens rühren, jetzt starrten die Großeltern glücklich auf ihr Enkelkind, und Tiago glücklich auf die Eltern, und Aurelia glücklich auf Tiago.
    Obwohl er für gewöhnlich über sie hinwegsah, fiel Williams Blick auch kurz auf sie. Er sagte nichts, nickte ihr lediglich zu, aber Aurelia war sich sicher, was er dachte: Wenigstens das schafft sie.
    »Doña Aurelia sollte sich nun wirklich ausruhen«, schaltete sich Ramiro Espinoza ein, der bis jetzt mit gesenktem Kopf danebengestanden hatte.
    Tiago überreichte das Kind wieder Alicia und wollte sich eben bücken, um Aurelia hochzuheben, als Saqui in den Salon gelaufen kam. Obwohl in Williams Gegenwart von sonstiger Geschwätzigkeit nichts zu bemerken war, konnte sie sich nun einen freudigen Aufschrei nicht verkneifen – gefolgt von einer Fülle begeisterter

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