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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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ihre Stirn schweißnass. Erst hockte sie an die Wand gelehnt, dann legte sie sich auf den Boden, auf dem einige Stoffballen ausgebreitet worden waren. Victoria hatte das befohlen – Victoria, deren ruhige, bestimmte Stimme das Einzige war, das durch den Schmerz drang. Oder nein, da war noch ein anderer Laut – das Murmeln der betenden Alicia. Sie flehte erst die Jungfrau Maria um Beistand an und beklagte dann, dass sie keine Statue des heiligen Ramón Nonato hätten, die über die Geburt wachen könnte. Besagter Heiliger, der selbst mit einem Kaiserschnitt aus dem Mutterleib geholt worden war, sei schließlich der Beschützer der Gebärenden!
    Nun, Aurelia war überzeugt, dass Ramón sie nicht würde retten können – Victoria aber umso mehr.
    Sie hatte nicht nur den Befehl gegeben, die Stoffe auf dem Boden auszubreiten, damit sie weicher liegen konnte, sondern sich auch zu ihr gekniet und ihr Brustmieder aufgeschnürt, damit sie freier atmen konnte. Es nützte nichts – auch wenn sie nun mehr Luft bekam, war diese Luft doch von beißendem Rauch erfüllt, der ihre Augen zum Tränen brachte und ihre Kehle verätzte.
    Victoria erhob sich und lief nach draußen in den größeren Raum, wo die Nähmaschinen standen. Durch das Rauschen des eigenen Bluts hindurch hörte Aurelia, wie sie die Frauen anschrie, sie sollten das Feuer mit Stoffballen ausschlagen. Es schien zu nützen, denn das bedrohliche Knistern verstummte – der Rauch aber blieb, drang in jede Ecke und Nische des Raumes, schwärzte die Decke mit Ruß. Die meiste Zeit hielt Aurelia die Augen zusammengepresst, doch wenn sie sie öffnete, sah sie alles unter einem grauen Schleier verborgen. Obwohl sie nicht viel sah – hören tat sie weiterhin gut. Nachdem Victoria den Schneiderinnen Befehle erteilt hatte, wandte sie sich mit schriller Stimme den Männern zu, die sich offenbar nach unten drängten. Sie grölten und schrien durcheinander, und Aurelia wand sich schamvoll, als sie sich vorstellte, dass ihre Blicke auf sie fielen.
    Victoria aber ließ das nicht zu. Sie stellte sich schützend vor Aurelia und beschimpfte die Männer für das Ausmaß der Gewalt, das sie über sie gebracht hätten, befahl ihnen dann, langsam und ruhig nach unten zu gehen und nur die, die verletzt worden waren, zurückzulassen – sie würde sich um sie kümmern.
    So schrill sie zu reden begonnen hatte – so befehlend klang ihre Stimme zuletzt, und die Männer fügten sich erstaunlicherweise, zumindest hörte Aurelia, wie die Schritte immer leiser wurden.
    Im nächsten Augenblick überrollte sie eine neue Wehe, einer Welle gleich, die anfangs nur ein kleines Fleckchen Haut erhascht, dann alles in die Tiefe reißt. Sie schrie, bäumte sich auf, fühlte eine Hand, die sie drückte, Alicias Hand? Oder die von Victoria?
    Es musste Victorias sein, ging ihr auf, als sie aus der Tiefe des Schmerzes wieder auftauchte, denn deren Stimme klang so nah. Sie sprach nicht länger mit den Männern, sondern mit der Frau, mit der sie gekommen war … Rebeca …
    »Lass uns gehen!«, befahl Rebeca mit kalter Stimme. »Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.«
    »Du kannst gehen«, erwiderte Victoria nicht minder ausdruckslos, »ich bleibe!«
    »Was hast du hier noch verloren? Die Polizei wird dich verhaften!«
    »Geh!« Victorias Stimme klang nun scharf wie ein Messer. »Geh einfach!«
    Aurelia hörte nicht, ob sich erneut Schritte entfernten. Sie spürte nur, dass Victoria ihre Stirn abtupfte, ihr dann das Kleid, das sie trug, bis zu den Hüften hochschob.
    Kurz war es beschämend, dass nun jedermann, der in den Raum spähte, ihren nackten Unterleib sehen würde, aber dann wurde der Schmerz größer als die Scham. Er zerrte an dem Kind – das Kind, das sie doch beschützen wollte!
    Victoria tastete sie behutsam ab. »Auch wenn es zu früh ist, das Kind kommt. Du darfst dich nicht dagegen wehren, sonst wird es noch schwerer. Kämpf nicht gegen den Schmerz, sondern mach ihn dir zunutze, um das Kind zu gebären.«
    Aurelia atmete keuchend und blinzelte. Zu ihrem Erstaunen war diese Rebeca doch noch hier. Sie lehnte mit missmutigem Gesicht am Türrahmen. Gleich neben ihr stand – verfilzt und dreckig – ihr Bruder Jiacinto … der Mann, von dem Victoria einst nur mit leuchtenden Augen erzählt hatte. Anders als Rebeca wirkte er betroffen, irgendwie schuldbewusst, und er tat alles, was Victoria von ihm verlangte – sei es, eine Schere zu bringen oder noch mehr Stoff, alle Fenster zu

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