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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Unmöglichkeit, Medikamente zu entwenden und an die Armen zu verteilen. Damals war es Schwester Adela aufgefallen, dass regelmäßig Arzneien verschwanden, und der Medikamentenschrank, der bis dahin jedem zugänglich war, weil man es als selbstverständlich ansah, dass sich nur der daraus bediente, der einer ausdrücklichen ärztlichen Anordnung folgte, hatte ein Schloss bekommen und war obendrein im chirurgischen Trakt untergebracht worden. Außerdem waren sämtliche Schwestern zu dem Verschwinden der Arzneien befragt worden, erst von Schwester Adela, dann von Doktor Espinoza selbst. Victoria ahnte, dass Espinoza sie und Rebeca im Verdacht hatte, aber er konnte ihnen nichts nachweisen – es ihnen lediglich unmöglich machen, weiterhin zu stehlen, zumindest bis Rebeca herausgefunden hatte, wo der Schlüssel versteckt wurde.
    Diesen Schlüssel hielt Victoria fest umklammert. Ihre Hände wurden schweißnass, als sie daranging, den Schrank aufzuschließen und so viele Arzneien wie möglich in der Tasche zu verstauen, die sie unter einem Umhangtuch trug. Die meisten Medikamente stammten von der Apotheke Daube – auch das am dringendsten benötigte Salvarsan, das einzige wirklich wirksame Mittel gegen Geschlechtskrankheiten. Victoria konnte all die Frauen, die sie in den letzten Jahren daran sterben gesehen hatte, nicht zählen – ganz zu schweigen von ihren Kindern, die tot oder schwerkrank zur Welt kamen. Viele Frauen gingen aus Scham nicht ins Krankenhaus, betrachtete man sie doch nicht selten als Prostituierte, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie von ihren Männern, die ebensolche besuchten, angesteckt worden waren. Wurden sie überhaupt als Patientinnen aufgenommen, behandelte man sie verächtlich, ließ sie am längsten warten und gab ihnen die schlechtesten Betten.
    Kein Wunder, dass die meisten von ihnen Ärzte scheuten und sich von irgendwelchen Quacksalbern sinnlose Mittel aufschwatzen ließen. Dass dies wiederum zum Rückgang offiziell diagnostizierter Krankheitsfälle führte, feierte die Politik als Erfolg ihrer Hygienemaßnahmen, anstatt, wie Victoria bitter bemerkte, den Ärzten ihre Arroganz auszutreiben.
    So oft hatte sie mit Jiacinto darüber gelästert.
    Ach, Jiacinto …
    Rasch füllte sie ihre Tasche mit Phiolen und Döschen, als sie sich an die zwei Nächte erinnerte, die in den letzten anderthalb Jahren auf die erste gefolgt waren und die sie trotz aller Vorsätze nicht wirklich hatte genießen können. Sie ahnte instinktiv, dass sie diesen Augenblick der Nähe mit langen Wochen vergeblicher Hoffnung und neuer Distanz bezahlen musste. War sie mit ihm allein, war er meist freundlich und anerkennend, und sie musste ihn nicht drängen, sie zu küssen und mit ihr zu schlafen – doch sie war so gut wie nie mit ihm allein. Entweder er scharte seine Anarchistenfreunde um sich oder seine Geschwister, und wann immer diese dabei waren, zeigte er sich Victoria gegenüber blind und machte auch keine Anstalten, dem Zufall nachzuhelfen, mit ihr allein in einem Raum zu landen. Wenn sie ganz viel Glück hatte, neckte er sie oder führte mit ihr Diskussionen, zog sich jedoch später mit einer seiner vielen anderen Geliebten zurück.
    Jedem Schritt nach vorne folgten nicht einfach nur zwei, sondern viele zurück, und wann immer sie sich dennoch Hoffnungen machte, wurden sie von Rebeca zerstört. Beiläufig betonte sie immer wieder, dass Jiacinto nichts von Treue und Ehe halte und jede Frau ihn mindestens mit einem halben Dutzend weiterer zu teilen hatte.
    Nun, Victoria wäre sogar bereit gewesen, ihn zu teilen, wenn sie dieses bisschen von ihm sicher bekommen hätte! Und ihretwegen mochte er gern Verfechter der freien Liebe sein, wenn nur etwas von dieser freien Liebe für sie abfiel!
    Aber was zählten drei Nächte in zwei Jahren? Sie versuchte, sie in ihren Erinnerungen so lange wie möglich lebendig zu halten – und hieß sogar die Angst willkommen, schwanger zu sein, die sie einmal befiel, wäre dies doch ein sichtbares Zeichen, dass sie und Jiacinto irgendwie zusammengehörten. Aber sie war nicht schwanger. In jenen drei Nächten hatte sich Jiacinto immer rechtzeitig aus ihr zurückgezogen und sich auf ihren Bauch ergossen – offenbar darin geübt, unerwünschten Nachwuchs zu vermeiden.
    Die Männer, mit denen Rebeca ihr Bett teilte, schienen gleiche Vorsicht nicht zu kennen. Zumindest war Victoria sicher, dass sie vor einigen Monaten wieder eine Abtreibung hatte machen lassen. Erst

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