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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Ponchos, und sie zogen Guanakos hinter sich her, die die Waren trugen, mit denen sie von Siedlung zu Siedlung gingen: Wolle, Stoffe und Schnitzereien.
    Sie betrachteten Victoria aus ausdruckslosen Gesichtern und hielten es für nicht weiter verwunderlich, dass eine junge Frau einsam durch die Wüste irrte. Als sie auf sie zulief, versank sie bis zum Rist in Staub und Sand. Sie stolperte, bevor sie sie erreichte, und noch ehe sie sich wieder aufrappelte, stand ein Mann vor ihr, mit gefurchtem, braunem Gesicht und gütigen Augen, der ihr aus einer merkwürdigen Form aus Stein oder besonders trockenem Holz Wasser reichte.
    »Danke, habt vielen Dank!«
    Sie trank gierig und atemlos, und als sie das Behältnis sinken ließ, war ihr Kopf nicht mehr ganz so schwer.
    »Wohin geht ihr?«, fragte sie. »Ich komme von der Salpetermine, und ich muss wieder dorthin zurück.«
    Die Männer schwiegen, sie wusste nicht, ob sie sie nicht verstanden oder bloß nicht reden wollten. Immerhin winkten sie ihr zu, ein Zeichen, sie zu begleiten. Egal, wohin sie auch gingen, in ihrer Gesellschaft würde sie schon irgendwann auf ein Stückchen bewohnte Erde stoßen.
    Ihr Esel scheute vor den Guanakos, und erst als sie ihn nicht länger am Strick zog, sondern einfach stehen ließ, trabte er hinterher. Sie wurde blind für die Wüste und ihre Bewohner, setzte einfach nur stur Schritt für Schritt. Der Durst wurde wieder übermächtig, der Kopf schien ihr zu zerplatzen, aber irgendwie ging es voran, und das, was ihr am meisten Kraft gab, war die Scham: Es erschien ihr jäh so lächerlich, wegen des Streits mit Salvador in der Wüste umzukommen.
    So auf sich und ihren nächsten Schritt konzentriert, bemerkte sie erst verspätet, dass die Männer plötzlich anhielten. Bislang stumm, begannen sie nun, aufgeregt miteinander zu sprechen. Es waren kehlige Laute, die über die trockenen Lippen traten, von denen Victoria keinen einzigen verstand. Ich muss ihre Sprache lernen, schoss es ihr durch den Kopf, Salvador spricht sie gewiss, und …
    Ihre Gedanken verstummten. Sie sah, was auch die Männer gesehen und was sie anhalten hatte lassen. Kurz dachte sie, es wäre nur eine Sinnestäuschung. Die Wüste gaukelte vieles vor – Wasser, wo es keines gab, einen Menschen, wo keiner lag.
    Doch das vermeintliche Glitzern des Wassers löste sich im Nichts auf, der Mensch aber nicht.
    Hier lag jemand.
    Die Männer bildeten einen Kreis um ihn, standen eine Weile starr und blickten stumm auf ihn, ohne näher zu treten. Victoria hatte noch nicht viel von dem Mann gesehen – nur dass er bewusstlos war, verletzt, vielleicht längst tot.
    »Ich kann helfen!«, rief sie. »Ich bin Krankenschwester.«
    Der Kreis lichtete sich. Als sie zu dem Reglosen hasten wollte, hielt einer sie fest.
    »Er ist tot«, erklärte er – mit starkem Akzent, aber doch verständlichem Spanisch.
    Victoria riss sich los; mächtiger als Durst und Erschöpfung wurde der Wunsch, zu helfen, so wie immer, wenn sie Kranke sah. Sie sank auf den heißen Sand und beugte sich über den Mann. Sein Gesicht war zerschunden, seine Kleidung zerrissen, am Hinterkopf klaffte eine Wunde. Eine dünne Sandschicht bedeckte sein Gesicht, das nicht rosig wie das eines Menschen anmutete, sondern grau wie eine Statue. Vorsichtig wälzte sie ihn auf den Rücken, tastete den Hals nach einem Pulsschlag ab. Leicht, ganz leicht spürte sie ein Klopfen. Dann sah sie, wie seine Brust sich kaum merklich hob und wieder senkte.
    »Er ist nicht tot!«, rief sie aufgeregt. »Noch nicht.«

    Ja, noch lebte der Schwerverletzte, aber Victoria fühlte, dass dies nicht mehr lang der Fall sein würde, wenn ihm nicht sofort geholfen wurde.
    Sie kniete weiterhin neben ihm und stellte fest, dass kein Glied gebrochen war. Allerdings machte ihr die Kopfverletzung Sorgen. Blut sickerte heraus, und Knochen waren sichtbar, und sie war nicht sicher, ob lediglich die Haut zerrissen oder auch der Schädelknochen zersplittert war. Ihr fiel nichts anderes ein, als ihn in eine möglichst stabile Lage zu bringen, ein Tuch auf die blutende Wunde zu pressen und die trockenen Lippen mit etwas Wasser zu benetzen.
    Selten hatte sie sich so hilflos gefühlt. Die Händler sahen ihr ausdruckslos zu. »Ich brauche Hilfe!«, schrie sie sie schließlich an. »Ich brauche Doktor Salvador Cortes!«
    Immer wieder rief sie seinen Namen und glaubte, in den Gesichtern Erkennen aufblitzen zu sehen. In jedem Fall reagierten die Männer und teilten sich auf: Die

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