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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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sie an die Wand einer der Baracken stieß, und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.
    »Das Leben hier ist nicht einfach, Victoria«, redete er auf sie ein. »Es genügt nicht immer, das Richtige zu tun. Manchmal führt das Richtige zum Falschen und das Falsche zum Richtigen. Und manchmal muss man sich damit abfinden, dass man gar nichts tun kann.«
    »Aber ich will etwas tun!«, schrie sie und versuchte verzweifelt, ihre Hand aus seinem Griff zu befreien. Sie konnte es nicht. Konnte es ebenso wenig wie Jiacinto für sich gewinnen, wie sich im Gefängnis gegen die Männer wehren, die fast über sie hergefallen waren, wie Rebeca etwas entgegensetzen. Sie hatte auch nichts tun können, als damals ihre Eltern starben.
    Sie wollte ihn erneut anschreien, doch stattdessen brach sie in Tränen aus.
    Endlich ließ Salvador sie los. »Victoria …«, murmelte er heiser.
    Sie schlug die Hände vors Gesicht, aber es war zu spät, um zu verbergen, dass sie weinte. Nie hatte sie sich so beschämt gefühlt. Sie raffte das Kleid und rannte von ihm fort.
    »Victoria!«, rief er ihr nach, folgte ihr jedoch nicht.
    Wahllos und blind vor Tränen lief sie immer weiter, erreichte schließlich Salvadors Haus, überlegte kurz, sich dort zu verkriechen, entschied sich dann aber anders. Der Esel stand angebunden an einem Pfosten, und ehe sie wusste, was sie tat, band sie ihn los, schwang sich darauf und schlug ihm in die Flanken. Widerwillig setzte sich das Tier in Bewegung. Sie sah nicht, wohin sie ritt. Salvador folgte ihr immer noch nicht.

    In der ersten Stunde überwogen Trotz und Wut, in der zweiten fühlte sie gar nichts, sondern war einzig darauf konzentriert, den Rückweg zu finden, in der dritten packte sie die Angst. Längst ritt sie nicht mehr auf dem Esel, sondern ging neben ihm her. Sie wollte ihn nicht überstrapazieren und riskieren, dass ihr einziger Begleiter inmitten der Einsamkeit erschöpft zusammenbrach. Schweiß brannte ihr in den Augen, als sie an die vielen Geschichten von Menschen dachte, die sich in der Wüste verirrt hatten: Ihr Schweigen, so hieß es darin, würde verrückt machen. Irgendwann ginge man nur noch im Kreis, bis man tot umfiele.
    Erst jetzt begriff sie, wie leicht man hier tatsächlich den Verstand verlieren konnte. Unerträglich hell wurde das Licht, alle Farben verblassten in der gelbbraunen Einöde. Nie hatte sie sich so von aller Welt verlassen gefühlt. Die einzigen Gefährten neben dem Esel waren schillernde Eidechsen und ein adlergleicher, weißbrüstiger Bussard, der einmal lautlos über sie hinwegflog und ihrer zu spotten schien – kannte er doch seinen Weg, sie den ihren aber nicht.
    Während sie anfangs noch den Rückweg gesucht hatte, wurde schließlich ihr einziges Ziel, einen schattigen Platz zu finden, um sich kurz auszuruhen und neue Kräfte zu schöpfen. In der Nähe der Mine wuchsen einige Pfefferbäume, unter deren Ästen es nicht ganz so brennend heiß war. Hier stand jedoch kein einziger, nur niedrige Sträucher, Kakteen und Bromelien, allesamt nicht hoch genug, um Schatten zu werfen. Die Kakteen, überlegte sie, speicherten Wasser, vielleicht könnte sie ihren Durst daran stillen. Aber weder hatte sie ein Messer, um die stachelige Haut aufzuschneiden, noch wusste sie, welche der Kakteen giftig waren und welche nicht.
    Plötzlich wurde das Licht trüber. Kurz hoffte sie, dass – wie es manchmal geschah – von der Küste her ein Nebel über die Wüste zog und frische, feuchte Luft spendete, doch dann sah sie, dass es nur aufgewirbelter Sand und Staub war, der die Sonne verdunkelte. Solche Stürme, heiß und erstickend, konnten gefährlich sein.
    Gott, sie brauchte Wasser! Hieß es nicht, dass es manchmal in der Hochebene Moore gab, auch einige Oasen, die wie aus dem Nichts erstanden, oder in der Nähe der Berge Gebirgsflüsse? Aber da waren keine Berge, auch kein Wasser, nur Sand und Staub.
    Sie drohte zu verzweifeln und kraftlos auf die Knie zu sinken, als sie plötzlich in der Ferne dunkle Gestalten sah. Erst hielt sie sie für die Täuschung ihrer überreizten Sinne, dann, als sie näher kamen, stellte sie fest, dass es tatsächlich einige Menschen waren. Sie hob ihre Hände, winkte und stellte erleichtert fest, dass sie geradewegs auf sie zukamen. Zunächst dachte sie noch, Salvador wäre ihr mit einer Gruppe Arbeiter gefolgt, um sie zu suchen, dann stellte sie fest, dass es Atacameños waren, wie man die Ureinwohner der Wüste nannte. Trotz der Hitze trugen sie bunte

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