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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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erwünschten Reflexe stieß.
    »Wie ich schon sagte – der Schädel scheint nicht gebrochen, das Genick auch nicht, er weist keine Spuren von einer Lähmung auf. Ich werde jetzt die Platzwunde nähen. Hilf mir.«
    Mittlerweile hatte Victoria ihm schon oft assistiert, wenn er mit einer Nadel aus einer Knochensehne und einem dünnen Seidenfaden Wunden nähte, und sie tat es auch jetzt – froh, irgendeinen Beitrag leisten zu können.
    »Und was nun?«, fragte sie, als sie fertig waren.
    »Nun bleibt uns nichts anderes übrig, als der Natur ihren Lauf zu lassen.«
    »Aber wenn Ohnmacht zu lange anhält …«, begann Victoria, sprach den Satz jedoch nicht zu Ende.
    »Ja«, meinte Salvador, »wenn sie zu lange anhält, kann das für ihn tödlich sein. Die Ohnmacht hilft dem Körper zwar zu heilen, aber zugleich kann er in dieser Zeit nichts trinken und verdurstet. Und so wie er aussieht, hat er zu lange in der Sonne gelegen. Er braucht dringend Flüssigkeit!«
    Tatsächlich schälte sich die gerötete Haut bereits, und die Lippen waren rissig. Victoria betrachtete das Gesicht des Mannes genauer. Er war gewiss noch nicht alt, nicht einmal dreißig, und seine Züge waren fein und schön. Was machte so ein Mann hier in der Wüste?
    »Da allerdings auch die anderen Reflexe funktionieren, können wir darauf setzen, dass er auch schlucken kann«, fuhr Salvador fort. »Dora, bring mir etwas Wasser! Und einen Löffel – den kleinsten, den du hast! Und du, Victoria, schau mir gut zu, denn das müssen wir jetzt über Stunden so machen.«
    Behutsam öffnete er den Mund des Ohnmächtigen, dann nahm er den Löffel, den Teodora ihm reichte, und benetzte die trockenen Lippen mit einigen Wassertropfen. Zunächst geschah nichts, das Wasser lief nutzlos über das Kinn. Doch als Salvador es mehrmals wiederholte, sah Victoria plötzlich die Zungenspitze hervorlugen. Den nächsten Löffel Wasser schien der Fremde endlich zu schlucken, zumindest lief er ihm nicht mehr über das Kinn.
    »Wir müssen ganz langsam und vorsichtig vorgehen – nicht dass er am Wasser erstickt. Und leider können wir den Kopf nicht anheben, das würde ihm womöglich schaden.«
    Er gab Victoria den Platz frei, damit sie ihm das Wasser einträufeln konnte – und das machte sie tatsächlich über Stunden. Gegen Abend löste Salvador sie ab, während der Nacht legten sie eine Pause ein. Aber auch den nächsten Tag verbrachte sie damit, ihm stets aufs Neue winzige Mengen an Flüssigkeit einzuflößen. Am dritten Tag nachdem Victoria ihn in der Wüste gefunden hatte, halfen auch die Mädchen mit. Die sonst so distanzierte Dora, die sie nie an den Herd ließ, wirkte verschreckt und tat alles, was Victoria von ihr verlangte. Und Clara fragte schließlich, ob man ihm auch etwas anderes einträufeln sollte als Wasser – wie sonst sollte er zu Kräften kommen?
    Salvador schien sich nicht sicher, stimmte aber schließlich zu: Zuerst probierten sie es mit bolivianischem Bohnenkaffee, den sie mit etwas Milch verdünnten, dann mit dem Saft von Wassermelonen und schließlich mit einer dünnen Suppe aus Gemüse und Fleisch.
    Drei Tage lang schluckte der Verletzte das, was man ihm einträufelte – sonst rührte er sich nicht. Erst am Abend des siebten Tages ging ein Zucken durch seinen Körper. Kurz, ganz kurz blickte Victoria in glasige Augen, dann schloss er sie sofort wieder. Sein Körper krümmte sich, und sie befürchtete schon, dass neue Krämpfe ihn schütteln würden, stattdessen drehte er sich zur Seite und übergab sich. Victoria hielt seinen Kopf fest, damit er ihn nicht zu sehr erschütterte, und wischte die erbrochene Flüssigkeit weg, all die Stunden vor Augen, da sie ihm diese mühsam zugeführt hatten.
    Wenig später fiel er in einen unruhigen Schlaf. Immer wieder schreckte er hoch, würgte oder ergab sich erneut. Sein Körper, bis jetzt steif und kalt, wurde glühend heiß, obwohl es in der Nacht deutlich abgekühlt hatte.
    Victoria wischte ihm die Stirn mit Essigtüchern ab und gab ihm weiterhin Flüssigkeit. Wenn er wach war, konnte er sie immerhin schluckweise zu sich nehmen, auch wenn er sich später wieder übergab. Seine Haut hörte zu glühen auf, stattdessen zitterte er nun. Victoria und Salvador schleppten ihn mit Hilfe der Mädchen zum Herd, und Victoria entzündete zusätzlich kleine Kohlebecken, mit denen im Winter geheizt wurde. Der ganze Raum wurde in rötliches Licht getaucht, und die wenigen Möbelstücke warfen tiefe Schatten auf den

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