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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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unruhig Schlafenden.
    Victoria selbst schlief kaum und war umso dankbarer für den frischen Bohnenkaffee, den Teodora am nächsten Morgen zubereitete und den Clara ihr reichte. Dora war zwar immer noch nicht bereit, direkt mit ihr zu reden, aber sie erklärte in ihre Richtung, dass – wenn die Kohlen knapp würden – man auch die Zweige der Yaretapflanze verbrennen könnte.
    »Sie sehen aus wie kleine Polster, und ihre Oberfläche ist ganz rauh vom Harz. Aber sie lassen sich gut verbrennen.«
    »Ich glaube nicht, dass es notwendig ist …«, murmelte Victoria, die sich nun, da die Sonne auf das Haus herabbrannte, nicht vorstellen konnte, dass der Verletzte jemals wieder fror.
    Sie befühlte die Stirn des Mannes, die erstmals nicht zu heiß und nicht zu kalt war, und als sie die Hand zurückzog, schlug er die Augen auf. Sein Blick wirkte wach.
    Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, brachte jedoch nichts über die Lippen.
    »Nur ruhig«, redete Victoria beschwichtigend auf ihn ein.
    Seine Lippen formten ein Wort. »Wo?«
    »Sie sind in Sicherheit. Dies hier ist das Haus eines Arztes. Und ich bin Krankenschwester. Victoria ist mein Name und …«
    »Wo?«, fragte er wieder und konnte etwas mehr Kraft in seine Stimme legen.
    »Wir sind in der Wüste … der Atacamawüste …«
    Eine Weile starrte der Mann sie verwirrt an. Seine Stirn runzelte sich, vielleicht vor Verwirrung, vielleicht vor Schmerzen. Er schluckte mehrmals, und Victoria gab ihm rasch Wasser zu trinken. So viel auf einmal hatte er noch nie getrunken.
    »Die Atacamawüste …«, murmelte er und blickte sie verständnislos an. »Ich habe diesen Namen noch nie gehört. Wie … wie bin ich hierhergeraten?«
    Victoria zuckte die Schultern. »Ich habe Sie schwer verletzt aufgefunden. Wie heißen Sie?«
    Wieder versank der Mann in langes Schweigen. Salvador trat zu ihnen und blickte wie Victoria angespannt auf ihn herab.
    Eine Träne quoll aus den Augen des Fremden und lief über die Wange.
    »Ich weiß es nicht«, stöhnte er, »ich weiß nicht mehr, wie ich heiße.«

    Aurelia träumte von Patagonien, und zunächst war alles in diesem Traum schön und leicht. Sie ritt auf einem Pferd, genoss die Weite, den Wind und die Grenzenlosigkeit. Sie schloss die Augen, hob den Kopf, breitete die Hände aus und glaubte, zu fliegen. Doch dann blieb das Pferd abrupt stehen. Sie kippte nach vorne, fiel, landete unsanft auf allen vieren, und als sie sich wieder aufrappelte, stand nicht länger das Pferd neben ihr, sondern Tiago. Sie freute sich, ihn zu sehen, wollte zu ihm treten und ihn umarmen, doch kaum starrte sie auf ihn, verflüchtigte sich sein Bild. Plötzlich war da eine Staffelei vor ihr, und sie griff nach einem Pinsel, um zu malen. Das Bild, das vor ihr erstand, zeigte sie und Tiago inmitten Patagoniens rauher Landschaft, und auf diesem Bild konnte sie ihn auch gut erkennen. Doch kaum versuchte sie, sich zu vergewissern, ob er immer noch neben ihr stand und nicht nur in gemalter Form existierte, fühlte sie sich tieftraurig und verlassen. Unmenschliche Anstrengung kostete es, ihren Blick von der Staffelei abzuwenden, und als es ihr endlich gelang, sah sie nur noch, wie Tiago vom Wind fortgeweht wurde. Entsetzt starrte sie ihm nach, wollte nach ihm greifen, ihn festhalten. Es gelang ihr nicht, ihre Hände schienen wie aus leblosem Stein gemeißelt. Und als sie sie schließlich doch heben konnte, griffen sie ins Leere.
    Schreiend schreckte sie hoch. In ihrem Mund schmeckte es säuerlich, auf ihrer Stirn stand kalter Schweiß, und in ihrem Magen grummelte es. Irgendetwas versetzte sie in tiefste Panik. Etwas Schreckliches war passiert – das wusste sie schon, bevor sie in Saquis Gesicht sah.
    Diese stand vor ihrem Bett – und sie war es auch gewesen, die sie geweckt hatte.
    »Doña Aurelia …«, rief sie klagend, »Doña Aurelia … kommen Sie mit!«
    Normalerweise betrat Saqui ihr Zimmer nicht. Sie liebte Tino, war zu Aurelia jedoch wegen ihrer einstigen Zurückweisung nur in Tiagos Gegenwart freundlich, während sie ihr ansonsten aus dem Weg ging.
    Aurelia nahm sich nicht die Zeit, in ihren Morgenmantel zu schlüpfen. Mit nackten Füßen und nur mit ihrem dünnen Spitzennachthemd bekleidet, lief sie die Treppe hinunter. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals in solch einer Aufmachung das Schlafzimmer verlassen zu haben und Alicia und William unter die Augen getreten zu sein.
    Doch auch die beiden waren heute nicht in üblichem Aufzug

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