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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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In Chile schützen viele Gesetze die Pressefreiheit.«
    Ein schwaches Lächeln verzog sein Gesicht. »Und wer fordert diese Pressefreiheit an diesem Ort ein? Du etwa?«
    Um ihr zu zeigen, wie lächerlich er das fand, trat er so dicht an sie heran, dass sie fast den mit Narben übersäten Körper fühlen konnte. Obwohl einarmig, wirkte der Mann furchteinflößend, und Victoria kam nicht umhin, zurückzuweichen und den übrigen Männern einen hilfesuchenden Blick zuzuwerfen. Doch die saßen regungslos da, als ginge sie die ganze Sache nichts an.
    Victoria nahm all ihren Mut zusammen. »Sie können mir keine Angst machen«, zischte sie, »Sie können …«
    Sie kam nicht weiter. Aus dem Augenwinkel nahm sie einen Schatten wahr, als sie plötzlich eine Hand auf ihrem Arm spürte, die sich darum krallte und sie mit sich riss. Empört schrie sie auf, ehe sie erkannte, dass sich Salvador Cortes unbemerkt genähert hatte, sie nun vom Aufseher wegdrängte und ihr zugleich die Zeitung aus den Händen riss, um sie auf den Boden zu werfen. Sein Gesicht war rot vor Zorn – nicht dem gerechten Zorn auf den Aufseher, wie sie instinktiv erhofft hatte, sondern Zorn auf sie.
    »Es tut mir leid«, erklärte er rasch, an die Männer gewandt. »Sie lebt erst seit kurzem hier. Sie hat sich noch nicht ganz an die Sitten hier gewöhnt.«
    Die Arbeiter saßen weiterhin reglos da, grinsten nun jedoch. Der Aufseher wirkte grimmig, machte aber keine Anstalten, sie aufzuhalten, und der Affe stieß ein bedrohliches Keifen aus.
    Obwohl er humpelte, war Salvador Cortes erstaunlich kräftig. Unmöglich konnte sie sich seinem Griff entziehen. Erst als sie hinter einigen Hütten aus dem Blickfeld von Arbeitern und Aufseher verschwunden waren, blieb er stehen.
    »Bist du verrückt geworden?«, schrie er Victoria an. Noch nie hatte er seine Stimme derart erhoben.
    »Ich?«, rief sie erbost und stampfte auf. »Niemand setzt sich hier für die Arbeiter ein!«
    »Und du wirst das auch nicht tun.«
    »Aber …«
    »Wir sind hier, um Kranke zu versorgen, nicht, um Politik zu machen.«
    Sie ahnte, dass sie nicht minder rot anlief vor Wut.
    »Wie kann man sich nur so gleichgültig und blind stellen?«, tobte sie. »Gerade von dir hätte ich mehr erwartet. Hast du in Iquique nicht auf der Seite der Arbeiter gestanden? Und nun ist dir egal, was hier passiert?«
    Er schüttelte den Kopf und wirkte plötzlich müde. »Natürlich ist es mir nicht egal. Aber ich bin Arzt. Ich habe geschworen, jeden Kranken zu versorgen – ganz gleich, wer er ist und was er getan hat. Wenn ich für die Arbeiter Partei ergreife, werden mich die Aufseher und die Besitzer der Minen über kurz oder lang meiden. Aber es könnte sein, dass einer von ihnen oder ihre Frauen eines Tages meine Hilfe bräuchten, und ich kann nicht zulassen, dass sie aus Trotz und Dummheit darauf verzichten, weil sie mich für einen Unruhestifter halten. Du hast es doch gesehen – hier gibt es weit und breit keinen anderen Arzt. Ich muss für alle da sein. Was ich glaube und denke, behalte ich für mich.«
    Abermals stampfte Victoria mit dem Fuß auf. »Aber das ist feige! Für seine Überzeugungen muss man einstehen.«
    »Wer sagt dir, dass ich es nicht tue? Aber sieh doch – manche reden mit ihrem Mund, andere mit ihren Händen. Den Menschen hier ist mehr geholfen, wenn ich ihre Krankheiten behandle, nicht, wenn ich hitzige Reden schwinge und Feindschaften säe.«
    Erinnerungen stiegen plötzlich vor ihr auf – an Jiacinto, der sich begeistert in jede Prügelei gestürzt hatte, ohne Rücksicht auf Verluste, aber auch an Rebeca, die mit kaltem Gesicht vor ihr gestanden und ihr anvertraut hatte, dass sie an nichts glaubte, lediglich ihre Brüder glauben machte, sie täte es.
    »Das ist unerträglich!«, stieß Victoria aus. »Ich für meinen Teil lasse mir von niemandem den Mund verbieten.«
    Er musterte sie streng. »Wenn du an meiner Seite arbeitest, dann musst du dich an meine Regeln halten. Und wenn sie dir nicht behagen, dann kannst du gerne wieder gehen.«
    Noch gewaltiger brodelte ihr Zorn. Er galt nicht nur ihm, sondern auch Jiacinto und Rebeca. So ohnmächtig hatte sie sich ihnen gegenüber gefühlt, so hilflos. Nie hatte sie sie angeschrien, nie die Hand zur Faust geballt, wie sie es jetzt plötzlich machte, nie diese Faust erhoben. Sie hätte nicht gewagt, Salvador zu schlagen, aber offenbar erwartete er es, denn seine Hand schnellte vor und packte ihre Faust.
    Er drängte sie zurück, bis

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