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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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einen Seite ihres Krankenbettes, Valentina an der anderen. Pepe war sehr besorgt, Valentina auch, doch anders als er zeigte sie es nicht, sondern musterte sie so skeptisch wie ein fremdes Tier.
    »Sie ist aufgewacht! Sieh doch nur, sie ist aufgewacht!«, schrie Pepe aufgeregt.
    »Das heißt noch gar nichts. Vielleicht schläft sie gleich wieder ein.«
    Doch Aurelia hielt die Augen offen – zumindest lange genug, um die Namen der beiden zu murmeln und ein »Habt Dank« hervorzupressen.
    »Siehst du!«, rief Pepe triumphierend.
    Was Valentina daraufhin sagte, konnte Aurelia schon nicht mehr verstehen. Zu sprechen war eine zu große Anstrengung gewesen, schwer wie Blei wurden ihre Lider. Sie versank in tiefen Schlaf, und als sie erwachte, konnte sie sich zwar sofort wieder orientieren und auch erinnern, wer sie vor dem Tod gerettet hatte, aber sie war sich nicht sicher, ob sie mehrere Monate oder nur Tage krank gewesen war. In jedem Fall war sie kräftig genug, um sich aufzusetzen und ihr Haar, strähnig und schwer, aus dem Gesicht zu streichen.
    Diesmal saß nur Pepe bei ihr am Bett. »Du musst etwas essen«, befahl er.
    Aurelia schluckte schwer. »Ich kann nicht …«, murmelte sie.
    »Du lebst noch, also kannst du«, entgegnete er ungewohnt streng.
    Erst jetzt sah sie, dass auf dem Nachttischchen ein Tablett mit einer Schüssel stand. Pepe nahm den Löffel und führte ihn an ihre Lippen. Sie konnte nicht sehen, womit er sie fütterte, aber in seinem Blick stand etwas so Flehentliches, dass sie die Lippen öffnete und es schluckte. Offenbar war es mit Reiswasser verdünnte Milch. Sie nahm eine halbe Tasse zu sich, dann vermeinte sie, ihr Magen wäre mit Steinen gefüllt.
    »Na bitte«, sagte Pepe triumphierend.
    Aurelias Kopf sank auf das Kissen. »Wie lange?«, fragte sie.
    »Wie lange wir um dein Leben kämpfen mussten? Oh, fast eine ganze Woche. Ich habe kaum geschlafen.« Er schlug sich auf die Brust, als läge die größte Heldentat seines Lebens hinter ihm.
    »Eine Woche …«, echote Aurelia.
    »Du lagst reglos mitten auf der Straße. Wie, in Gottes Namen, bist du nur dort gelandet?«
    Ihr Körper fühlte sich unendlich schwer an. Sie konnte sich nicht vorstellen, je wieder schnellen Schrittes zu gehen – und genauso lahm erwiesen sich ihre Erinnerungen.
    »Ich war auf einer Hacienda … William … wollte nicht … und Andrés … Verstand verloren«, presste sie hervor.
    Ein Räuspern ertönte von der Tür, Valentina stand dort. »Nun, überfordere sie nicht! Sie muss erst wieder zu Kräften kommen, dann kannst du neugierige Fragen stellen.«
    Pepe zog schmollend die Lippen zusammen. »Als ob du nicht neugierig wärst!«, murrte er, gab aber nach und ließ Aurelia eine Weile allein.
    Während der nächsten Tage verzichtete er auf Fragen, sorgte jedoch dafür, dass sie genug aß. Zuerst flößte er ihr noch mehr Reismilch ein, dann den süßen Saft der chilenischen Palme, die in Santiago an allen Ecken wuchs. Man zapfte ihn aus ihrem Mark, und er schmeckte wie Honig. Schließlich hatte sich ihr Magen daran gewöhnt, regelmäßig gefüllt zu werden, und sie konnte auch etwas Festes essen – geröstete Brotschnitten, die Pepe allerdings in heiße Schokolade tauchte, damit sie sie nicht kauen musste.
    Die Schmerzen in ihrem Hals ließen nach jedem Bissen nach, der Husten kehrte nicht wieder, aber ihre Glieder blieben steif und schwer, als wäre sie eine alte Frau. Immerhin konnte sie nun länger und in ganzen Sätzen reden und berichtete Valentina und Pepe, was nach Tiagos Tod passiert war.
    Valentina schüttelte missbilligend den Kopf: »Ich habe mir schon so etwas gedacht. Vor einigen Wochen wollte ich dich besuchen, aber es hieß, du wärst nicht hier. Erinnerst du dich, Pepe? Ich habe gleich gesagt, dass du gewiss nicht freiwillig verreist bist. Welche Mutter lässt schon ihr Kind allein!«
    Aurelia seufzte: »Aber ich … ich habe Tino allein gelassen … und das durchaus freiwillig … Ich dachte natürlich, dass es nur für ein paar Wochen wäre, nicht, dass William mich für immer loswerden wollte.«
    Tränen stiegen hoch – Tränen der Scham, weil sie nicht gekämpft hatte, Tino mitzunehmen, des Ärgers, weil William und Alicia ihr das angetan hatten, der Verzweiflung, weil sie sich so schwach und hilflos fühlte.
    »Und jetzt?«, fragte Valentina.
    »Ich weiß es nicht.«
    Jetzt war es Pepe, der seine Mutter streng ermahnte: »Nun lass ihr doch Zeit, zu Kräften zu kommen. Dann kannst

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