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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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als genügte eine abrupte Bewegung, es zerbrechen zu lassen. Er scheute sich, sie anzufassen, konnte sie natürlich nicht einfach liegen lassen, und auch als er sie an der Schulter stupste, tat sie keine Regung. Immerhin atmete sie, wenn auch nur schwach.
    »Aurelia …«
    Er seufzte, dann bückte er sich und hob sie behutsam hoch. Obwohl sie so leicht war, brach ihm nach wenigen Schritten noch mehr Schweiß aus. Er spürte ihren flatternden Herzschlag, fühlte ihre weiche Haut auf seiner. Nie hatte er einen Menschen so berührt, nie sich jemandem so nahe gefühlt. Nach weiteren Schritten keuchte er – aber was wog die Mühsal, sie zu tragen, schon gegen die Wohltat, ihr Retter zu sein? Kurz vermeinte er, er schritte nicht durch Santiagos belebte Straßen, sondern durch ein fremdes Land voller Gefahren: Flutwellen und Erdbeben und ausbrechenden Vulkanen.
    Wenig später hatte er das Haus erreicht. Er fühlte sich zu geschwächt, sie die Treppe hochzubringen, legte sie stattdessen auf den Boden der Buchhandlung und tastete nach ihrem Puls. Ihre Haut – das nahm er erst jetzt wahr – war glühend heiß.
    »Mutter!«, schrie er. »Mutter!«
    Eins musste man ihr lassen: Ob nun verwirrt oder nicht – Valentina war nicht nur sofort zur Stelle, sondern erfasste blitzschnell, was passiert sein musste, und bestimmte sachlich wie immer, was nun zu tun sei.
    Sie rief nach Bona, befahl ihr, sie solle ohne Umschweife einen Arzt holen, forderte dann von Pepe, er möge Aurelia das Kleid ausziehen.
    »Sie glüht vor Fieber! Wir müssen sie mit Essigwasser einreiben.«
    Pepe verzog die Stirn – es war das eine, Aurelia heldenhaft durch die Straßen zu tragen, aber etwas ganz anderes, sie auszuziehen.
    »Nun benimm dich nicht wie eine schamvolle Jungfer!«, fuhr Valentina ihn an.
    Eine solche bin ich aber, dachte er trotzig. Und du hast mich dazu gemacht.
    Laut sagte er jedoch nichts. Um Aurelias willen war es besser, ihren Befehlen zu gehorchen. Während er zögerlich den schweren Stoff ihres Kleids hochschob, betete er dafür, dass der Arzt schnell kommen möge. Er hatte nicht viel Ahnung vom menschlichen Körper und der Medizin, aber ein untrügliches Gefühl sagte ihm, dass Aurelias Leben auf Messers Schneide stand.

    Eines Morgens erwachte Jacob aus tiefem Schlaf – und irgendetwas war anders als sonst. Das Erwachen war niemals leicht, seit er von der Kopfverletzung genesen war. In den Augenblicken, da er noch halb im Reich der Träume steckte und friedlich vor sich hin dämmerte, hatte er das Gefühl, dass alles in Ordnung war, er sich ausruhen konnte, er nicht verzweifelt nach sich selbst suchen musste. Aber jedes Mal gab es diesen panischen Moment, dieses Erschrecken, wenn er auffuhr und feststellte, dass er als der erwachte, als der er eingeschlafen war: als Niemand.
    Heute kam noch etwas anderes dazu: tiefe, bange Sorge, wenngleich er nicht sicher war, wem sie galt. Er fühlte eine vage Bedrohung, eine unaussprechliche Gefahr – vielleicht für sein Leben, vielleicht für das eines Menschen, den er liebte.
    So oder so – in ihm erwachte Unrast. Er sprang auf, fuhr sich durchs struppige Haar. Eigentlich war es nichts Ungewöhnliches, dass er sich getrieben fühlte – in den letzten Wochen war er so oft unterwegs gewesen, hatte so oft Ausflüge unternommen, um immer wieder Neues zu sehen und seine lahmen Erinnerungen anzuspornen. Aber heute, das ging ihm plötzlich auf, würde ihm das nicht genügen. Er hatte hier alles gesehen, was es zu sehen gab, und war sich sicher, dass die Wüste nicht der Ort war, wo er früher gelebt hatte. Wie auch immer er hierhergeraten war – um herauszufinden, wer er war, musste er die Wüste verlassen.
    Er rieb sich die Schläfen. Die Sorge, die Furcht vor einer Bedrohung wich – eine andere Erkenntnis verdichtete sich. Vor einigen Tagen war sie ihm zum ersten Mal wie eine Ahnung aufgestiegen, nun schien sie zur Gewissheit zu werden.
    Foster … irgendwo in den versteckten Winkeln seines Gehirns war der Name Foster aufgetaucht.
    Er hatte sich ihn immer wieder lautlos vorgesagt, tat das auch jetzt. Jacob Foster. Jacob Foster. Jacob Foster.
    Nein, darauf schwören, dass das sein Name war, konnte er nicht, aber er entschied, diesen Namen fortan zu nutzen, solange ihm kein besserer einfiel. Und dieser Name würde ihm vielleicht einen Weg in die Vergangenheit weisen – oder zumindest einen Weg aus der Wüste hinaus.
    Erst gestern Abend hatte er Victoria und Salvador gefragt,

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