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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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solltest noch etwas essen und trinken. Was immer dir bevorsteht – du wirst viel Kraft dafür brauchen.«

    Vorerst gelang es Victoria, ihren Gleichmut zu bewahren. Sie verabschiedete sich gefasst von Jacob, nahm ihm das Versprechen ab, ihnen, was auch immer geschehen würde, möglichst bald zu schreiben, und umarmte ihn – nicht sonderlich inniglich, eher als gute Freundin. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn jemals wiedersehen würde – und sie wusste, dass Briefe in die Atacamawüste oft verlorengingen, aber sie zwang sich zu einem Lächeln, als wäre dieser Abschied nur für kurze Zeit.
    Erst als er sich abwandte und den Zug bestieg – er würde in einem offenen Waggon mit Säcken voller Gestein sitzen –, konnte sie ihre Verzweiflung nicht länger unterdrücken. Ihn gehen zu lassen hieß, erneut alle großen Abschiede ihres Lebens durchzumachen – ob von ihren sterbenden Eltern oder von Valentina und Pepe.
    Von Jiacinto hatte sie sich hingegen nie verabschieden können – und von Aurelia auch nicht. Sie dachte an den Brief, den sie ihr damals geschrieben hatte, ehe sie Santiago verlassen hatte, und hoffte plötzlich so sehr, Aurelia würde ihn eines Tages lesen, genauso, wie sie vielleicht eines Tages einen Brief von Jacob würde lesen können.
    Als der Zug eine Dampfwolke ausspie, mit knirschenden Rädern losfuhr und immer kleiner wurde, griff eine Hand nach ihrer, eine zarte, weiche Kinderhand. Es war die von Clara.
    »Bist du traurig?«, fragte sie mit diesen weit aufgerissenen, dunklen Augen, die immer etwas melancholisch wirkten.
    Victoria lag es auf den Lippen, es abzustreiten, aber dann nickte sie. »Ja, ich bin sehr traurig.«
    Zu ihrem Erstaunen gesellte sich auch Teodora zu ihr. Zwar reichte sie ihr nicht die Hand, schlug aber selbstlos vor: »Wenn du willst, können wir gemeinsam kochen.«
    Victoria lächelte gerührt, und das Gefühl, ganz allein auf dieser Welt zu sein und stets aufs Neue alle gehen oder verlassen zu müssen, die sie liebte, schwand. Sie hätte sich nicht angemaßt, zu behaupten, Teil dieser Familie zu sein, und doch wusste sie: Sie gehörte hierher, sie gehörte dazu.
    »Vielen Dank«, murmelte sie, »ich komme darauf zurück. Aber ich glaube, im Moment würde ich lieber gar nichts tun.«
    Nachdem die Mädchen ins Haus gegangen waren, merkte sie, dass Salvador nicht weit von ihr stehen geblieben war und sie eingehend betrachtete.
    »Nimm dir die Zeit, die du möchtest.«
    Sie schüttelte den Kopf. Eben noch war es ihr als unmöglich erschienen, etwas zu tun, aber als sie nun in sein Gesicht blickte, gefurcht vom Leben, aber gestählt vom Willen, diesem standzuhalten – gleich einem knorrigen Tamarindenbaum, der auch noch in der kargen Wüste zu wachsen weiß –, erklärte sie entschlossen: »Ich habe dir in den letzten Wochen viel zu wenig geholfen. Ich will es nachholen.«
    Er nickte, und sie dachte schon, er würde von dannen gehen, aber dann trat er zu ihr und nahm ihre Hand, so wie Clara es getan hatte. Wie das Mädchen drückte er sie kurz.
    »Dann komm«, erwiderte er, »einer der Arbeiter hat sich das Bein gebrochen, als sie den Zug beladen haben. Wir müssen es schienen.«

    Aurelia hatte sich in ihrem Leben so viel mit Farben beschäftigt – doch bis jetzt hatte sie nicht gewusst, wie viele Nuancen es von Schwarz gab. Manchmal war es tief und absolut, manchmal lediglich ein Schleier, der sich zwar besitzergreifend über die Welt legt, jedoch zulassen muss, dass dahinter Licht aufblitzt, manchmal wurde es an seinen Rändern zu einem schmutzigen Grau. Dann wähnte sie, zwar nicht tiefer und tiefer zu fallen wie in völliger Finsternis, jedoch wie zu Stein zu erstarren. Da war kein Leben mehr in ihr, zumindest nicht sonderlich viel. Sie wusste nicht, wo sie war und wem die Hände gehörten, die ihr manchmal den Schweiß von der Stirn wischten. Sie war in einem Reich zwischen Leben und Tod gefangen – war zu schwach, um zu leben, aber zu widerborstig, um zu sterben.
    Ja, irgendetwas war da in ihr, das nicht aufgab, das erbittert mit dem Tod rang, das gegen das Fieber kämpfte, gegen den Druck auf der Brust, gegen den Husten. Er war nicht sonderlich stark, aber er war zäh. Irgendwann brannte die Haut nicht mehr so, als stünde sie in Flammen, irgendwann konnte sie einatmen, ohne dass es ihr die Brust zerriss, und irgendwann konnte sie die Augen öffnen und feststellen, dass es noch eine Welt gab – und die Welt voller Farben war.
    Pepe saß an der

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