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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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und die Unfähigkeit, uns zu versöhnen und wieder Freundinnen zu sein.
Aurelia, ich habe meine Meinung nicht geändert, ich verstehe bis heute nicht, warum Du Dich um der Liebe willen selbst verleugnen musstest und warum Du die Malerei für einen Mann aufgegeben hast. Ich glaube immer noch an das, was ich Dir damals schon gesagt habe: Wenn man aus ganzer Seele liebt, dann tut man das doch als der, der man ist, und Du bist nun mal, ob mit oder ohne Tiago, eine begnadete Malerin. Gibst Du vor, Du wärst es nicht, beschneidest Du damit doch auch Deine Liebe, denn Du hast Dich als Aurelia, die Malerin, in ihn verliebt, nicht als die feine Dame mit den edlen Gewändern, die Du seit Deiner Heirat spielst. Oh, ich wünsche mir – und noch mehr wünsche ich es Dir selbst, dass Du wieder malen wirst und dass Du Dich Deiner Herkunft nicht schämst, sondern stolz darauf bist!
Und auch das möchte ich Dir ausdrücklich sagen: Viele meiner Vorwürfe waren anmaßend. Es stand mir vielleicht zu, Dich aufzurütteln, nicht aber, Dich dafür anzuklagen, dass Du Tiago liebst. Die Liebe, das weiß ich mittlerweile, ist eine ganz seltsame Macht. Manchmal macht sie uns stark und manchmal verwundbar. Manchmal ist sie ein Geschenk und manchmal ein Fluch. Manchmal macht sie uns blind und treibt uns dazu, das Falsche zu wollen und zu tun. Doch am Ende ist es vielleicht sogar das Richtige, wer weiß? Ich zumindest weiß es nicht, ich kann nicht letztgültig entscheiden, was Dich glücklich macht und was nicht. Das kannst nur Du allein.
Ich hoffe, Du bist glücklich, wenn Du diese Zeilen liest – und falls nicht, dann hoffe ich, Du hast den Mut und die Stärke, darum zu kämpfen. Und ich bin mir ganz sicher, insgeheim bist Du beides: mutig und stark.
Genug der vielen Worte. Ich hoffe, dass wir uns irgendwann wiedersehen und dass wir, ganz gleich, was wir bis dahin erleben, uns in die Arme schließen und wieder Freundinnen sein werden.
Deine Victoria

    Als Aurelia den Brief sinken ließ, hatte sie Tränen in den Augen. Sie wusste nicht recht, was sie so bewegte – dieses Gefühl, trotz aller räumlichen Distanz Victoria plötzlich so nahe zu sein, oder die Worte, die sie ihr geschrieben hatte.
    Ich hoffe, Du bist glücklich … und falls nicht, kämpfe darum.
    Als Pepe den Raum betrat, riss er entsetzt die Augen auf: »Du lieber Himmel, warum weinst du denn?«
    Aurelia wollte ihre Hände heben, um sich die Tränen abzuwischen, aber es gelang ihr nicht. Kraftlos sank sie auf das Kissen zurück. »Ich fühle mich so schwach …«, stieß sie schluchzend aus, »ich bin nicht mutig und stark, wie Victoria schreibt. Ich bin …«
    Sie brach ab.
    »Grundgütiger!«, stieß Pepe aus und eilte zu ihrem Bett. »Du bist lange krank gewesen, es braucht eben seine Zeit, bis du dich wieder besser fühlst.«
    »Das meine ich nicht. Nicht nur mein Körper … alles an mir ist schwach! Als Kind war ich so viel energischer, so viel mutiger … und jetzt …«
    Pepe runzelte die Stirn. »Du warst auch jetzt sehr mutig. Du bist von der Hacienda geflohen, du hast dich nach Santiago durchgeschlagen.«
    »Ja«, gab Aurelia widerstrebend zu, »aber ich fürchte, damit haben sich meine Kräfte erschöpft. Weißt du, auf der Hacienda konnte ich zum ersten Mal seit Jahren wieder zeichnen, aber hier ist mir der Gedanke unerträglich, es wieder zu tun.«
    Pepe setzte zu einer Erwiderung an, entschied sich aber dann, zu schweigen. Eine Weile stand er hilflos an ihrem Bett, dann drehte er sich um, ging zu einer Kommode und öffnete eine Schublade. Er zog einen Bogen Papier heraus und rollte ihn vor ihr auf. Das Blatt zeigte ein Porträt von ihm, das sie einst gezeichnet hatte, nur mit Kohlestift und offenbar in Eile, weil vieles nur angedeutet, nicht ausgeführt war. Dennoch waren seine Züge akkurat getroffen, und es war die grundlegende Zerrissenheit in seinem Leben darin zu lesen: der Wunsch, es anderen, vor allem seiner Mutter, recht zu machen, und der Hader, dabei selbst zu kurz zu kommen.
    Aurelia richtete sich auf und fühlte sich mit einem Mal gar nicht mehr so erschöpft.
    »Du hast es aufbewahrt?«, fragte sie.
    »Natürlich!«, rief er stolz. Dann versank er selbst im Anblick des Porträts, und seine Züge wurden ernst: »Ich sehe irgendwie so traurig darauf aus und gekränkt … Auf diesem Bild wird ganz augenscheinlich, dass in Wahrheit ich schwach bin. Nicht du.«
    Aurelia zuckte die Schultern und hob Victorias Brief hoch. »Victoria hofft, dass

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