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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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erstaunlich ist«, begann sie ruhig, »ihr dachtet alle immer, dass William streng, unnahbar, stets korrekt und sachlich sei. Dass er dieses Haus mit seiner steifen Art geprägt hätte. Dass er mich zu der steifen, leblosen Frau gemacht hat, die ich bin. Aber so war es nicht. Als junger Mann hatte er viele Ähnlichkeiten mit Tiago oder Guillermo. Du kannst es dir nicht vorstellen, wenn du ihm heute begegnest, aber er war abenteuerlustig, risikofreudig und neugierig. Er hat viel gesprochen und auch gelacht, er war für jeden Spaß zu haben, er hat gespielt und getrunken. Gewiss – er hatte klare Ziele. Er wollte sich in diesem Land beweisen, er wollte reich werden und zur Oberschicht gehören, aber er war nicht verbissen … nicht verhärtet. Ich aber«, plötzlich verzerrte ein merkwürdiges, bösartig anmutendes Lächeln ihren Mund, »ich aber habe ihn gelehrt, wie man sich in der Oberschicht verhält. Ich habe ihm gesagt, wie er sich zu benehmen hat.« Aus dem Lächeln wurde ein Lachen, das ebenso schrill wie gequält klang. »Ich wollte ihn nicht heiraten, aber dies war der Wille meines Vaters, und ich habe mich ihm gefügt, wie ich mich ihm immer gefügt habe. Aber ich habe mich dafür gerächt. Nicht an meinem Vater, aber an … William. Ich habe dafür gesorgt, dass er nicht länger abenteuerlustig, risikofreudig und neugierig war. Dass er nicht mehr viel gesprochen und auch nicht mehr gelacht hat. Dass er nicht mehr für jeden Spaß zu haben war und nicht mehr gespielt und getrunken hat.«
    Wieder ertönte das merkwürdige Lachen, dann war sie still.
    Ein kalter Schauer lief Aurelia über den Rücken. Alicia war ihr stets etwas unheimlich gewesen, aber nie hatte sie sie gefürchtet wie jetzt. Doch als Alicia sich ihr wieder zuwandte, war ihr Blick nicht länger bösartig oder rachsüchtig, sondern einfach nur leer.
    »Ich habe sie gebracht – die Opfer, die die Frau bringen muss, vermeintliche Unterwerfung, Willfährigkeit, Bescheidenheit, Nachgiebigkeit. Aber keines dieser Opfer ist mir schwergefallen, keines war ein echtes Opfer. Tino hingegen aufzugeben – das wäre ein Opfer, das größte, das schwerste.«
    Eben noch hatte Alicia sie zutiefst befremdet – nun kehrte dieses Gefühl von Nähe wieder. Kurz war Aurelia, als könnte sie in die Haut dieser Frau schlüpfen, die streng zu sich und anderen war, die irgendwann ihre Lebendigkeit verloren hatte und andere strafte, indem sie ihnen auch die ihre austrieb, die Frau, die sich in Religiosität flüchtete und sämtliche Gefühle hinter dem eleganten Erscheinungsbild verbarg, die gelernt hatte, aus ihrer Ohnmacht Macht zu ziehen, und die mit dem Gift, das sie versprühte, alle, die ihr zu nahe kamen, lähmte – und vor allem sich selbst. Doch dann war da dieses Kind, dessen Geburt sie einst selbst miterlebt hatte, unschuldig, freundlich und das erste Wesen, dem sie die Lebendigkeit nicht neidete und darum auch nicht raubte. Licht und Wärme hatte dieses Kind in ihr Leben gebracht – und es gehen zu lassen würde bedeuten, dass sie endgültig innerlich erstarb, dass das Haus noch dunkler werden würde und alle, die darin lebten, noch schwermütiger.
    Mitleid überkam Aurelia, ein schlechtes Gewissen, weil sie so grausam war, dieses Opfer zu verlangen – und zugleich die Sicherheit, dass sie das Richtige tat. Sie konnte nicht bleiben. Und Tino auch nicht.
    Ein Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken, während Alicia steif stehen blieb. Valentinas Stimme ertönte und bekundete aufgeregt, dass Williams Wagen eben vorgefahren sei.
    Alicia tat, als hätte sie es nicht gehört. Wieder strich sie über Tinos Wange, und etwas Weiches, Junges, Verletzliches trat in ihr Gesicht. Obwohl eigentlich großgewachsen, wirkte sie plötzlich klein und zart – zu zart für diese Welt. So musste sie einst ausgesehen haben, als sie noch dachte, sie würde ihr Leben im Kloster verbringen.
    »Bitte«, stammelte Aurelia, »bitte …«
    »Nimm mit Tino den Hinterausgang«, sagte sie mit ersterbender Stimme, und der Ausdruck von Zärtlichkeit in Alicias Zügen wich Entschlossenheit. »Dann wird William euch nicht sehen.«

    Die nächsten Stunden verlebte Aurelia voller Angst, dass William die Wahrheit erfahren, ihr folgen und ihr Tino wieder wegnehmen würde. Quälend langsam schien Valentinas Droschke zu fahren, und als sie endlich den Bahnhof erreichte, wurde sie fast verrückt, weil der Zug erst in zwei Stunden abfahren sollte. Ursprünglich hatte sie

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