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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Zunge nicht befleckt war. Sie wollte sich schon erheben und die Symptome als unbedeutend abtun, als Clara plötzlich ihre Hand ausstreckte und sie festhielt.
    »Bleibst du … bleibst du nun für immer hier bei uns?«, fragte sie flehentlich.
    Victoria begriff, was das Mädchen in Wahrheit belastete. »Ich wüsste nicht, warum ich gehen sollte«, antwortete sie rasch.
    Clara gab sich nicht damit zufrieden. »Aber falls dir ein Grund einfiele …«
    »Mach dir keine Sorgen«, erwiderte sie. »Es wird keinen Grund geben.«
    Clara musterte sie nachdenklich aus ihren tiefschwarzen Augen. »Bist du jetzt unsere Mutter?«, fragte sie schließlich und klang plötzlich so sehnsüchtig.
    Victoria lächelte. Die Zwillingsmädchen verhielten sich meist wie Erwachsene, so dass sie oft vergaß, dass sie eigentlich noch Kinder waren.
    Sie zog Clara an sich, strich ihr liebevoll über die Haare und rief sich ins Gedächtnis, was Salvador ihr über ihre Herkunft erzählt hatte. Demnach lag ein schreckliches Trauma hinter ihnen, und wenn es wahrscheinlich auch besser war, dass sie sich nicht daran erinnern konnten, was geschehen war – ähnlich wie Jacob –, so musste es schmerzlich sein, sich nicht einmal die Gesichter der leiblichen Eltern ins Gedächtnis rufen zu können. Plötzlich war sie dankbar, dass sie selbst schon sechzehn Jahre alt gewesen war, als sie ihre Eltern verloren hatte. Gewiss, es war ein schrecklicher Verlust gewesen – aber bis heute lebten Arthur und Emilia in ihrem Herzen weiter.
    »Ich bleibe bei euch, das verspreche ich«, erklärte sie ernst.
    Sie beugte sich vor und küsste Clara auf die Stirn. Sie konnte sich nicht erinnern, je ein Kind so geküsst zu haben, und fühlte plötzlich so viel Liebe in ihrem Herzen – nicht die heftige, stürmische, die sie für Jiacinto empfunden hatte, sondern eine gemächlichere, die ihr Herz wärmte und so guttat.
    Ja, sie würde bleiben, schwor sie sich im Stillen. Das Leben war hart und karg hier, brachte über Tage nichts anderes als stete Armut, Krankheit und Ungerechtigkeit. Und dennoch: Dieses Leben war auf seine ganz eigene Art echt und ehrlich – viel ehrlicher, als es die Carrizos je gewesen waren.
    Später, nachdem die Mädchen eingeschlafen waren, ging sie hinaus ins Freie. Wie immer rauchte Salvador seine Pfeife, und sie setzte sich zu ihm auf die Bank, so wie es längst zur lieben Gewohnheit geworden war. Manchmal sprachen sie über den zurückliegenden Tag, über Krankheiten und Behandlungsmöglichkeiten, manchmal schwiegen sie und starrten in die Wüste. Eigentlich verhieß deren unwirtliche Weite Einsamkeit, aber an Salvadors Seite fühlte sich Victoria nie einsam.
    Nur heute – heute fielen ihr weder rechte Worte ein, noch konnte sie das Schweigen ertragen. Anstatt sich zu entspannen, befiel sie eine unerwartete Erregung. Wenn sie sich recht besann, war das an den letzten Abenden ähnlich gewesen – doch heute war sie erstmals bereit, sich diesem Gefühl zu stellen. Unwillkürlich nahm sie Salvadors Hand. Beim letzten Mal hatten sie sich so berührt, als Jacob sie verlassen und er sie zu trösten versucht hatte – nun aber zog er sie rasch zurück.
    So schnell gab Victoria nicht auf. Wieder ergriff sie die Hand, zog sie diesmal auf ihren Schoß. Erneut spürte sie, wie er sich erst versteifte und dann die Hand zurückzog.
    »Es ist besser, wir tun das nicht«, sagte er heiser.
    Trotz der Anspannung, die sich über sie gesenkt hatte, blieb sie ganz ruhig. »Warum nicht?«, fragte sie.
    Er schwieg, nahm lediglich einen Zug aus seiner Pfeife.
    »Du hast gesagt, dass ein Mann mich nur lieben kann, wenn er erkennt, wer ich wirklich bin, und nicht nur sieht und wertschätzt, was ich tue«, fuhr Victoria fort. »Aber du bist der Einzige, der es je erkannt hat. Du bist der Einzige, der sich darüber Gedanken gemacht hat.«
    Zum dritten Mal nahm sie seine Hand, und auch wenn er sie nun nicht wieder wegzog, meinte er doch grimmig: »Mag sein. Trotzdem bin ich kein Mann, den du lieben kannst. Ich bin so alt, ich könnte dein Vater sein.«
    »Aber du bist es nicht«, stellte sie ruhig fest. »Und es ist auch nicht deine größte Angst, du könntest zu alt sein. Etwas anderes bereitet dir ungleich mehr Sorgen.«
    Obwohl sein Gesicht im Dunkeln lag, konnte sie fühlen, wie er die Stirn runzelte. »Ein Mann wie ich hat besser keine Frau«, knurrte er, »das habe ich schon in jungen Jahren entschieden, als ich wusste, dass ich im Gran Norte bleiben

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